: Zweifel an der Mauer-Masche
Die rot-rote Zusammenarbeit in Berlin weckt bei der CDU alte Reflexe. Doch Parteichefin Merkel mag sich zur Kommunistenhatz nicht recht aufschwingen
von ROBIN ALEXANDER und PATRIK SCHWARZ
Zwei Gesichter hat die Berliner CDU in diesen Tagen. Eberhard Diepgen – alt, grau und müde, ein geschlagener Mann, der Mitleid erregt mit seinem öffentlichen Verfall. Und dann ist da noch Frank Steffel – jung, rosig und kämpferisch. Er kompensiert die Defensive, in der seine Partei seit Wochen dümpelt, mit medialem Dauerfeuer. Steffel spricht auf allen Kanälen, und er geht in jedem Interview in die Vollen. Von „roten Zockern“ ist da die Rede, von „Putschisten“ und von „Kommunisten“, denen „die Stadt zum Fraß“ vorgeworfen werde.
Kumpeltypen wie Steffel nennen so etwas „richtig Dampf machen“. Die liberale Öffentlichkeit nennt es „Lagerwahlkampf“ – und zittert vor einer Kampagne, die das Westberliner Mauertrauma wieder gegen ostdeutsche Lebensläufe in Stellung bringt. Als Spitzenkandidat der Union will Steffel Rache nehmen am designierten Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), Rache für all die Tricksereien beim Koalitionsbruch und für die Kriminalisierung seines Mentors Klaus Landowsky. Diesen Impuls teilen viele Konservative in der Union. Reflexartig verfallen sie der alten Antikommunismus-Masche.
Keine Woche ist es her, da war auch in der Bundes-CDU die Begeisterung für einen solchen Lagerwahlkampf groß. Gleich an dem Morgen etwa, an dem die SPD den Ausstieg aus der Koalition beschloss. Die Größen der CDU waren zum Kleinen Parteitag in Berlin versammelt. Sie jubelten dem Gastgeber Diepgen zu, als er der SPD empfahl, die Neuwahlen auf den 13. August zu legen – den 40. Jahrestag des Mauerbaus. In der Orientierungskrise kamen die Dämonen des Kalten Krieges gerade recht. So einig wie an diesem Tag waren sich die Roland Kochs und Laurenz Meyers lange nicht.
Seitdem nagt der Zweifel. Vor allem eine Frau mag sich zur Kommunistenhatz nicht so recht aufschwingen: Angela Merkel. Wenn die CDU-Vorsitzende dieser Tage ihr Büro im Konrad-Adenauer-Haus betritt, ist ihr Gregor Gysi ganz nahe. Gleich links auf dem Fensterbrett liegt sein neuestes Buch. Der charmante Ober-Sozialist erzählt darin, wie er dreimal von Helmut Kohl zum vertraulichen Plausch empfangen wurde. Wie soll man da die Gysi-Partei noch verteufeln?
Selbst Unions-Fraktionschef Friedrich Merz distanziert sich inzwischen von Steffels Behauptung, in Berlin finde ein „linker Putsch“ statt. Merz empfiehlt mehr Zurückhaltung: „Das ist kein Sturm mit Gewehren auf die Regierung.“ Merkel, die von Rote-Socken-Kampagnen noch nie etwas hielt, muss einen Lagerwahlkampf erst recht fürchten. Auf dem Kleinen Parteitag erst hat die Parteichefin erklärt, wo sie die Chance auf Stimmenzuwachs sieht: in der Mitte – dort, wo auch Gerhard Schröder einst die entscheidenden Stimmen für den Wahlsieg holte. Setzt die CDU in Berlin auf einen Lagerwahlkampf, dann wird sich rasch die Frage stellen, ob die Union nicht auch bei der Bundestagswahl auf einen Polarisierer setzen sollte – auf Edmund Stoiber.
Andererseits weiß auch Merkel, dass die PDS das beste Wahlkampfargument der CDU ist. Die Parteichefin setzt deshalb auf eine Zwischenlösung. Beeindruckt hat sie, was die Fraktionsvorsitzenden aus den PDS-regierten Ländern Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, Christoph Bergner und Eckhardt Rehberg, ihr Anfang der Woche nahe legten: bloß nicht zu sehr auf der Vergangenheit herumreiten. Wirksamer sei das Argument, dass PDS-beherrschte Länder das Schlusslicht beim Aufschwung bildeten. Merkel hat den Tipp beherzigt. Sie will der PDS nicht die „Roten Socken“ anhängen, sondern die „Rote Laterne“.
Ganz ungewohnt klingt diese Diktion in den Ohren der Berliner nicht. Peter Kurth, der gerade seinen Posten als Finanzsenator aufgeben muss und neben Steffel als möglicher CDU-Spitzenkandidat gilt, hat ins Wolfsgeheul über die PDS-Aufwertung zwar eingestimmt – aber in einer deutlich anderen Tonlage. Das Wort „Kommunisten“ kommt ihm nicht über die Lippen. Er warnt vor „einem rückwärts gewandten Wahlkampf“. PDS und SPD will er lieber auf den „Themenfeldern der Zukunft“ attackieren. Das beste Argument der Kurth-Anhänger in diesen Tagen: Ihr Favorit könnte tatsächlich einen „Wahlkampf nach vorne“ führen und vielleicht doch noch einen kompletten Machtverlust abwenden. Wowereit weiß, dass Kurth eine Sparpolitik ohne die traditionellen Berliner Rücksichten verficht – ganz wie der SPD-Kandidat. Steffel hingegen neigt zu einem Sozialpopulismus nach dem Vorbild Eberhard Diepgens und Klaus Landowskys.
Aus der Konkurrenz zwischen Steffel und Kurth hat sich die Parteivorsitzende Angela Merkel weit gehend herausgehalten. Zwar liegt es nahe, dass sie den Noch-Finanzsenator favorisiert. Doch im Stillen hofft sie – stärker, als es öffentlich den Anschein hatte – auf den dritten Mann: auf Wolfgang Schäuble. Noch hat sich Schäuble nicht erklärt, nicht zuletzt wegen seiner Verstrickungen in die CDU-Spendenaffäre. Aber wie er sich den Umgang mit der PDS vorstellt, hat er schon als Parteivorsitzender verraten: ohne Schaum vor dem Mund, als Streit um politische Inhalte, nicht um historische Symbole.
Seine Generalsekretärin hieß damals Angela Merkel.
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