in galicien: Keltischer Kult
Druidinnen
Dass galicische Maisspeicher aussehen wie Särge auf Stelzen, ist reiner Zufall. Doch was ihr Dach ziert, symbolisiert geradezu den Glaubensdualismus, den die nordwestspanische Region lebt: ein Kreuz und eine „fica“ – das pyramidenförmige, keltische Symbol für Fruchtbarkeit.
Während in der Hauptstadt Santiago Pilger und Geistliche das Straßenbild prägen, das Jakobsgrab seit weit über 1.000 Jahren Ziel der Wallfahrt ist und die Souvenirläden vor lauter Apostelandenken demnächst platzen, gibt es auch ganz und gar unchristliche Bräuche. Der Grund: Vor den Katholiken kamen die Kelten. Und ihre selbst ernannten Nachfahren heißen meigas. Es ist das galicische Wort für Hexe (bruja), meint aber nicht ganz dasselbe. Meigas verstehen sich als gute Hexen, als Druidinnen nordspanischer Prägung und als Beschützerinnen der dortigen Bevölkerung. Mit den Elementen Wasser, Erde, Luft und Feuer treiben sie alles Ungute aus den Klienten heraus. Gegen entsprechendes Honorar, versteht sich.
Besuch bekommen sie von hohen Politikern und noch kinderlosen Direktorinnen, von Hafenarbeitern und gelegentlich ratlosen Kriminalbeamten. An ihre hellseherische Kraft glauben viele. In der Tageszeitung La Voz de Galicia stehen neben Anzeigen zu Gebrauchtwagen auch solche gegen den bösen Blick. Die Keramikfabrik Sargadelos ist mit der fließbandartigen Herstellung schützender Amuletts beschäftigt. „Haberlas haylas“, geben tut es die Hexen schon, weiß jeder gallego. Einige Fischer an der gefährlichen „Todesküste“ (costa da morte) gehen auf Nummer sicher: sie besuchen nicht nur die Sonntagsmesse, sie lassen sich ihre Boote vorsichtshalber auch mit keltischen Sprüchen vor scharfen Klippen und Unwettern schützen.
Meigas trauen sich längst, ihre „Büros“ im Schatten galicischer Kathedralen aufzumachen. Ein eigenwilliger lokaler Beruf ist der der Hexensekretärin.
Und was sagt die Kirche? Kein Bischof hat je gefordert, die Fica von den Maisspeichern zu entfernen. Es würde nichts nützen. Der junge Pfarrer Ramón Vidal Lafuente sieht den Einfluss der Gotteshäuser bedroht: „Was uns zu schaffen macht“, sagt er, „sind Big Brother, Psychoanalytiker und Hokuspokus. Die Leute gehen hier nicht gerne ins Krankenhaus, die gehen lieber zum ‚Knochenheiler‘, die gehen nicht in die Kirche, die lassen sich von den Meigas lieber Theater vorspielen. Und doch“, sagt er schon leiser, „übersinnliche Kräfte sind hier in Galicien schon weit verbreitet und werden sehr ernst genommen.“ TOBIAS BÜSCHER
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