: Verwechsel dich nicht
Kein Bandleader, keine Vorgaben, all das aber im Wissen, ein Kind der Geschichte zu sein: Klaus Theweleit macht Jazz
Preisfrage: Was für Musik macht eigentlich Klaus Theweleit? Nicht was für Musik hört Klaus Theweleit, oder über was für Musiker schreibt Klaus Theweleit – man gehe einmal ein paar Schritte weg von den Büchern, weg von der Erinnerung an Lektüren, weg von der Schrift. Man stelle sich vor: Klaus Theweleit sitzt mit seinen Kumpels im Keller seines Hauses, lauter Instrumente stehen herum. Man lasse sich nicht davon ablenken, dass ein Bild von Jimi Hendrix an der Wand hängt. Man versuche sich nur vorzustellen, was für Musik ein Autor wie Theweleit wohl macht, jemand, dessen Bücher geschrieben sind wie Partituren, jemand der, wenn er schreibt, einen ganz bestimmten Sound generiert. Was macht der im Proberaum?
Zunächst kann man einmal davon ausgehen, dass er nicht singt. Mit Worten hat er durch die Schreiberei ohnehin den ganzen Tag zu tun. Ebenso schwer vorstellbar, dass jemand anders singt, die Texte würden sofort in Relation zu Theweleit gesetzt. Rock fällt damit weg, die Musik muss instrumental sein. Also: Wie groovt Klaus Theweleit? Die Antwort ist überraschend einfach: So gut wie gar nicht. Klaus Theweleit und seine Band BST – was für die Namen der Musiker steht, Berger/Schaeffer/Theweleit – spielen Free Jazz. Jene Spielart der improvisierten Musik, die am radikalsten dem Jetzt verpflichtet ist, der Interaktion zwischen den Beteiligten. Jene Musik, die mitunter auch als Absolute Musik bezeichnet wird, da sie sich am stärksten der Kommunikation mit dem nichtmusikalischen Außen verweigert. Eine Musik, die sich ständig dem Risiko aussetzt zu scheitern, einfach nur Krach zu sein. Sie funktioniert über eine Mischung aus Routine und Spontanität. Der eine macht was, der andere macht was, und das Ganze fließt oder es fließt eben nicht.
Deshalb kann man über Free Jazz eigentlich auch nur Anekdoten erzählen, große historische Bögen ziehen oder mächtige Theorien entwickeln. Über konkrete Platten bleibt meist wenig zu sagen außer: Intensiv. Oder: So ähnlich wie ... Oder: nicht ganz so wie bei der letzten Platte. Über „Viosilence“ von BST könnte man sagen, sie höre sich an, als würden die drei Musiker Bläser benutzen, obwohl sie es gar nicht tun. Es sind Saiteninstrumente, nur mit dem Bogen gestrichen und verzerrt. Knallt aber wie ... – und schon ist man wieder beim Vergleich.
Nun fällt „Viosilence“ nicht vom Himmel. Drei CDs hat Theweleit beim Kölner Supposé-Verlag herausgebracht. „Ekstasen der Zeitenmischung“ über Geschichtsdarstellungen bei Arno Schmidt, Ezra Pound und Hilda Doolittle, Jean Luc-Godard und einigen mehr und „Das RAF-Gespenst“ sind die beiden anderen. Beides sind Aufnahmen von Vorträgen Theweleits im Berliner Ensemble. Und auf die Gefahr hin, „Viosilence“ Gewalt anzutun, genau das zu machen, dem sich diese Musik eigentlich verweigert – man kann die Platten auf einer gemeinsamen Karte einzeichnen.
„Das RAF-Gespenst“ ist ein autobiografischer Essay über die RAF. Über Theweleits Kindheit und Jugend als Sohn von Vertriebenen in Schleswig-Holstein, über die Schwierigkeiten, in den Fünfzigern eine Sprache zu finden, darüber, wie die Protagonisten der Studentenbewegung schließlich über Pop und Politik ein Gegensprechen entwickeln, ein Durcheinandersprechen. Darüber aber auch, wie sich diese Sprache in den frühen Siebzigern wieder homogenisiert, K-Gruppen entstehen, die RAF gründet sich. Die Sprachexplosion der Sechziger wird zurückgenommen, Zusammenhänge lösen sich auf, auf einmal wird man auf der Straße nicht mehr gegrüßt, eine Logik des Verrats setzt ein.
Hier kommt die Musik ins Spiel. Denn parallel zu dem Rückzug ins Semiprivate, die den SDS-Aktivisten in einen schreibenden Familienvater verwandelt, fangen Theweleit und andere an, Musik zu machen. So wie er den Bruch beschreibt, der in den frühen Siebzigern die Linke durchzog – schließe ich mich einer autoritären Gruppe an oder nicht? –, ist es nur logisch, dass er sich Free Jazz zum Modell eines emanzipatorischen Weitermachens heranzog.
Während in den K-Gruppen oder der RAF Strukturen von Befehl und Gehorsam eingesetzt wurden, bot etwa das Art Ensemble Of Chicago Möglichkeiten des hierachiefreien Durcheinanders an. Kein Bandleader, keine Vorgaben, all das aber in dem Wissen, ein Kind der Geschichte zu sein – das perfekte Role Model für Linke in der Krise.
Ein Modell allerdings auch, das ohne Pop-Appeal auskommt – klammert man Sun Ra und den späten Ruhm, den er mittlerweile in Hipsterkreisen genießt, einmal aus, er liegt eh wesentlich stärker an dem Glamour seiner Person als an seiner Musik. Wenn Theweleit in seinem Vortrag die Politik der RAF beschreibt als ein „sich mit anderen verwechseln“, so ist dies genau der Imperativ, der der Musik von BST zu Grunde liegt: sich nicht mit anderen zu verwechseln.
Und wenn man heute in Terroristen-Modestrecken herumblättert, Terroristen-Romane zur Hand nimmt oder Terroristen-Pop hört, könnte man glatt zu dem Eindruck kommen, genau dies sei das Schicksal des RAF-Gespenstes: Selbst bis ans Ende aller Tage verwechselt zu werden. Mit dem Antichristen, dem Erlöser, dem Sex-Symbol, dem Erben der 68er-Revolte. Vielleicht irgendwann einmal sogar mit einem Nationalhelden. Die Hauptstraße von Harlem heißt schließlich auch Malcolm X Boulevard und der wichtigste deutsche Literaturpreis nach Georg Büchner.
Das wird BST nicht passieren. What you hear is what you get. Ein Klavier, ein Schlagzeug, darüber sperrige Soundcluster. Und eine Stimme, die nach dem letzten Stück lacht und sagt: „Not so bad.“ TOBIAS RAPP
Klaus Theweleit: „Ekstasen der Zeitenmischung“ (2 CDs, 48 DM), „Das RAF-Gespenst“ (2 CDs, 48 DM), BST: „Viosilence“ (32 DM) alle Supposé-Verlag Köln
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