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Dunstschleier

So startet also eine „Berlinale der Poesie“: Bei der Eröffnungsfeier des Literaturfestivals in Berlin lasen Charles Simic und Nadine Gordimer

von ANDREAS MERKEL

Während sich über den Köpfen der Festgesellschaft offenbar ein paar letzte Bänker aus dem gewaltigen Gehry-Gebäude schlichen, zog Homero Aridjis unten im Bauch des Wals, dem vollverglasten Empfangssaal der DG-Bank, gegen die Macht des Kapitals zu Felde. Der mexikanische Präsident des internationalen PEN wetterte mit spanischem Pathos gegen Globalisierung und die Vermarktung der Künste, die zu nichts als „Light-Literatur“ und Sittenverfall führten. „Wozu Dichtung in einer von den Massenmedien beherrschten Welt, in einer Welt, in der die Musik Lärm und Krach, der Gesang Jaulen ist, in der die Vision Droge und die Liebe Pornografie ist?“

Leidenschaftliche Worte der Kritik. Auf der Eröffnungsfeier des Internationalen Literaturfestivals in Berlin hatten sie am Donnerstagabend jedoch nur bedingt etwas Subversives. Außerdem verloren sie sich in der Festlichkeit des Augenblicks.

Denn Ulrich Schreiber, der umtriebige Leiter und Initiator der Veranstaltung, hat es nach dreijähriger Vorbereitungszeit zunächst einmal geschafft, über achtzig Schriftsteller aus tatsächlich aller Welt nach Berlin zu holen, die in den nächsten zehn Tagen in der Hauptstadt lesen werden. Schreiber betonte in seiner Eröffnungsrede, die er zwischen den üblichen Verdächtigen von Geld und Politik hielt (der vorgestern noch amtierende Kultursenator Stölzl kam nicht!), noch einmal den Aspekt dieser Weltoffenheit für Berlin. Er wünsche sich ein Festival im Geiste Sarajevos, über das der bosnische Schriftsteller Dzevad Karahasan in seinem „Tagebuch der Aussiedlung“ schrieb: „Sarajevo wurde schon bald nach seiner Gründung zu einer Metapher der Welt, zu einem Ort, an dem sich die verschiedenen Antlitze der Welt in einem Punkt sammeln, wie die diffusen Strahlen des Lichts in einem Prisma.“

Des Weiteren wolle man hiermit eine „Berlinale der Poesie“ ins Leben rufen – ein Vergleich, mit dem sich das Literaturfestival vielleicht nicht unbedingt einen Gefallen getan hat. Denn schon die DG-Bank als Ort der Eröffnungsfeier wirkte eigentlich eine Nummer zu groß und förderte keineswegs eine Konzentration auf die Literatur. Die vierstündige Veranstaltung bewegte sich auf dem schmalen Grat zwischen zwanglosem Get-together bei kulturgesponsertem Rotwein und offizieller Lesung.

So hatten es die Stargäste Charles Simic und Nadine Gordimer gar nicht so leicht, die Aufmerksamkeit wieder zurück aufs Wesentliche zu lenken. Simic machte sich in seinem weitschweifigen Essay „Wettervorhersage für Utopia und Umgebung“ zivilisationskritische Gedanken über die Zukunft, die natürlich trotz allem der Literatur gehören sollte. Und die Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer, eine durchweg sympathische, elegante Erscheinung, las – werbemäßig unterstützt von ihrem deutschen Verleger Arnulf Conradi – aus ihrem neuen, demnächst erscheinenden Roman. Danach konnte endlich ungestört gefeiert werden.

Den schönsten Moment hatte man auf der Eröffnungsfeier allerdings beim Verlassen des DG-Bankhauses. Ein Dunstschleier hatte sich über den Pariser Platz gelegt, auf dem mitten in der warmen Berliner Nacht einfach so ein paar Gedichte standen!

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