: Wowereit als T-Shirt-Held
Beim lesbisch-schwulen Stadtfest in Schöneberg drängelten sich Hunderttausende, pfiffen auf die CDU und bejubelten den neuen, aber abwesenden Star Klaus Wowereit
Es gibt einfach zu viele Lesben und Schwule in dieser Stadt. Das frisch gebügelte Hemd war am Wochenende spätestens nach Betreten des Nollendorfkiezes dahin. Denn auch in diesem Jahr schoben sich wieder mehr als 300.000 BesucherInnen durch die Stände des neunten lesbisch-schwulen Stadtfestes in Schöneberg, das der Regenbogenfonds der schwulen Wirte unter dem Motto „Vielfalt in Sicht“ organisiert hatte. Im Gedrängel präsentierten sich über 220 schwul-lesbische, bisexuelle und transgenderorientierte Projekte, Vereine und Firmen.
„Dieses Fest ist Kult in der Stadt“, rief sogar Tempelhofs Bezirksbürgermeister Dieter Hapel (CDU) am Samstag auf dem „Wilden Sofa“ der Hauptbühne ins Mikrofon. Unter dem Motto „CDU trifft CSD“ moderierte Gerhard Hoffman, Vorsitzender des Regenbogenfonds e. V., den traditionellen Prominentenplausch. „Ich erwarte gegenseitige Toleranz, auch als Partei der anderen Farbe“, kämpfte Hapel verzweifelt um Sympathie, worauf ein bedächtiges Raunen durch die Menge ging. Doch spätestens nach seinem etwas ungeschickten Kommentar: „Ich dachte, Schwule und Lesben seien nett und hilfsbereit“, drängten Buhrufe und Pfiffe den CDU-Politiker sanft von der Bühne.
Standing Ovations bekam dagegen der Bundestagsabgeordneter Volker Beck (Grüne). Für sein Engagement für die „Homo-Ehe“ erhielt Beck den Rainbow Award, eine Auszeichnung des Regenbogenfonds. Überreicht wurde er von Exgesundheitsministerin Andrea Fischer (Grüne), der Schirmherrin des Festes.
Sie überbrachte auch die gute Nachricht des Tages: „Seit einer Stunde hat Berlin einen neuen Regierenden Bürgermeister.“ Die Wahl Klaus Wowereits (SPD), der sich zuvor öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte, wurde unter nicht aufhören wollendem Applaus euphorisch gewürdigt. „Endlich ist Diepgen weg“, sagte ein Besucher erleichtert, „und dazu noch das Megaglück, dass Wowereit schwul ist!“ Überhaupt schien das Outing Wowereits auf dem Stadtfest Kultstatus anzunehmen. Liebevoll wurde er von den Massen „Wowi“ genannt, war Thema auf jeder Bühne, und sein Bekenntnis „Ich bin schwul, und das ist auch gut so“ prangte bereits auf T-Shirts.
Ansonsten schienen aber die Grenzen zwischen homosexuell und heterosexuell im Nollendorfkiez zu verschwimmen. Cocktails und Bier wurden in singender Umarmung geleert, Kinder hielten stolz Ballons mit der Aufschrift „Cool, mein Lehrer ist schwul“ in die Höhe, und selbst die vom Lärm genervten AnwohnerInnen schwangen lustvoll Regenbogenfähnchen im Takt der Bühnenmusik. Gegen Abend genoss man, dem Erschöpfungszustand nahe, ein knallbuntes Feuerwerk. Noch immer mit Wowereit im Hinterkopf verkündete ein Mann im Glitzerkleid: „Ich bin Tunte, und das ist besser so.“
KATRIN CHOLOTTA
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