speichenbruch
: Aus Helden werden Asthmakranke

Mit der Lizenz zum Dopen

Diese Fragen muss man sich schon mal stellen in verseuchten Tagen wie diesen: Wie soll das nur weitergehen mit dem Sport, speziell dem auf zwei Rädern? Wo soll all das noch hinführen? Was an unliebsamen Entdeckungen droht uns denn noch in näherer wie fernerer Zukunft? Ratlos, einigermaßen orientierungslos taumeln wir dieser entgegen, weil plötzlich nichts mehr ist, wie es war. Weil nichts mehr ist, wie es sein soll. Weil selbst strahlendste Helden plötzlich kränkeln, schwer kränkeln und leiden, an Atemnot zum Beispiel. Weil selbst Jan Ullrich sich plagt mit Asthma, übrigens seit Jahren schon.

Wo soll das nur hinführen? Wie soll das nur enden? Welches schwere Leid, von dem die Welt nichts weiß, noch nicht, drückt zum Beispiel Erik Zabel? Werden er und Ullrich demnächst dem Behinderten-Sportbund beitreten? Müssen die beiden in drei Jahren in Athen gar bei den Paralympics an den Start gehen anstatt bei den Olympischen Spielen?

Man wird das ja wohl mal fragen dürfen in Zeiten wie diesen, die zweifelsohne schlechte sind für den Sport, jedenfalls wenn man dem neuesten Spiegel Glauben schenken will: Bei internationalen Veranstaltungen, so haben die Hamburger Kollegen dankenswerter Weise ermittelt, gaben bis zu 80 Prozent der Sportler an, Asthmatiker zu sein. Jan Ullrich, wenigstens das beruhigt, ist da also keine Ausnahme. Immerhin aber hat es sein Outing gebraucht, um die im Spitzensport seit längerem gängige Praxis ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren: Sportler lassen sich eine Krankheit attestieren und dürfen diese dann mit Mitteln bekämpfen, die eigentlich auf der Dopingliste stehen und somit verboten sind – normalerweise. Dass Ullrichs Outing in ganz direktem Zusammenhang mit der Doping-Razzia beim Giro d’Italia steht und keineswegs freiwillig geschah, macht die Sache für den Mann aus Merdingen nicht eben erfreulicher, sondern hat ihn und sein Team nun doch in einigen Erklärungsnotstand gebracht.

„Ich bin halt Asthmatiker, sag ich mal“, hat Ullrich am Samstagabend im Aktuellen Sportstudio bestätigt, was er seit einer Woche sowieso nahezu gebetsmühlenartig wiederholt. Einen entsprechenden Eintrag hat er sich schon 1998 in seinen Gesundheitspass machen lassen, seitdem darf der Tour-de-France-Sieger von 1997 entsprechende Tabletten und Sprays gegen sein Leiden verwenden, „wenn es ganz schlimm kommt auch Kortison“, wie Ullrich zugibt. „Per Inhalation ist das eine typische Standardtherapie“, ergänzt Lothar Heinrich, der Mannschaftsarzt des Teams Telekom, – und zudem, so glauben es die Sportmediziner, keineswegs leistungssteigernd. In Tablettenform aber oder gar gespritzt, zeigen Kortekoide durchaus eine aufputschende Wirkung, weshalb sie gerne auch zur Unterdrückung von Schmerzen und Erschöpfung angewendet werden und also völlig zu Recht auf der Dopingliste stehen. Das Dumme daran: Ob ein kortisonhaltiges Mittel vom Sportler letztendlich inhaliert (nicht leistungssteigernd) oder gespritzt (leistungssteigernd) wird, lässt sich bei einer späteren Dopingkontrolle nicht mehr nachweisen. Bei der letztjährigen Ausgabe der Tour de France schlug sich das in etwa so nieder: 45 Prozent der Dopingproben waren zunächst positiv, wurden im Nachhinein aber durch das Vorlegen entsprechender Einträge in den Gesundheitspässen der Fahrer reingewaschen. „Schlupflöcher für Schummler“, nennt das der Spiegel in seiner heutigen Ausgabe. Lizenz zum Dopen nennen wir das.

Da darf es in Zeiten wie diesen nicht wundern, dass so viele Spitzensportler an Asthma leiden, und dass nun verstärkt das ungute Gefühl auftritt, der eine oder andere Sportler tue das durchaus freiwillig und bei bester Gesundheit. „Es ist nicht glaubhaft, dass so viele Spitzenathleten asthmakrank sind“, sagt Professor Klaus Müller, der Leiter des Doping-Kontroll-Labors in Kreischa. „Wenn ein Arzt bei einem Athleten Asthma diagnostiziert, wird das im Moment zu leicht anerkannt. Da ist Missbrauch möglich“, pflichtet ihm sein Kölner Kollege Wilhelm Schänzer voll und ganz bei. Und der Hamburger Bronchial-Allergologe Martin Ehlers rügt im Spiegel, dass heute „jeder Doktor Dummerhans“ ein entsprechendes Attest ausstellen könne.

Bei Ullrich war es die Lungen-Fachärztliche Abteilung der Medizinischen Universitätsklinik Freiburg, die die Asthma-Diagnose erstellte, ein Doktor Dummerhans, das muss man dem Merdinger zugute halten, ist dort nicht beschäftigt. Ob Ullrich und das Team Telekom das reinwäscht? Unverdächtig macht? Auf manche Fragen lassen sich in diesen verseuchten Tagen nur schwer Antworten finden. FRANK KETTERER