: „Körperlich aktiv betätigt“
Ein Fünfzehnjähriger wird von S-Bahn-Wache misshandelt. Konsequenz: Gegen ihn wird Anzeige wegen Körperverletzung erstattet ■ Von Anke Schwarzer
Der fünfzehnjährige Abdul B. wartete vergangenen Donnerstag auf dem Bahnsteig Jungfernstieg. Vier Männer der S-Bahn-Wache Securitas verlangten seine Fahrkarte. Er konnte sie vorweisen, ebenso wie den grauen Berechtigungsschein des Sozialamts. Als der Sicherheitsdienst auch seine Papiere forderte, weigerte sich der Junge mit der Begründung, dass Securitas keine Polizei sei. Daraufhin schlug einer der vier Männer auf Abduls Oberschenkel, ein anderer packte ihn an der Kehle, warf ihn auf den Boden und stellte sich auf seine Arme. Nachdem sich Passanten eingemischt hatten, nahmen die vier Securitas-Angestellten den Jungen mit in ihr Büro und schlugen ihn dort gegen die Wände. Anschließend hat ihn die Polizei ins Allgemeine Krankenhaus St. Georg gebracht.
So lautet zumindest die Version des Flüchtlingsjungen aus Sierra Leone. Und tatsächlich wurden im Hospital zahlreiche Prellungen, unter anderem am Nacken und am Oberschenkel, festgestellt. Attes-tiert wurde auch ein Rauschzustand, der nicht auf Alkohol zurückzuführen sei. Die Gerichtsmedizinische Untersuchungsstelle für Opfer von Gewalt stellte zudem Wunden im Mund, Verletzungen an beiden Handgelenken und an den Schienbeinen sowie offene Wunden im Gesichtsbereich fest.
Die Erstversorge-Einrichtung für minderjährige Flüchtlinge, in der der Junge untergebracht ist, stellte Anzeige wegen gemeinschaftlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung. Abduls Rechts-anwalt, Dieter Magsam, beantragte die Sicherung der Videobänder des S-Bahnhofs von Donnerstagvormittag.
Nach Informationen des Bundesgrenzschutzes (BGS) stellt sich der Vorfall allerdings ganz anders dar. Gegen den fünfzehnjährigen Jungen wurde Anzeige wegen Körperverletzung erstattet. Opfer: ein 25-jähriger Securitas-Angestellter. Zeugen: drei Mitarbeiter der Firma Securitas. Der Junge sei außerdem nicht mit der Polizei, sondern mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gekommen, nachdem er sich bei einer Fahrscheinkontrolle gewehrt habe, so die Version im Lage- und Einsatzzentrum des BGS. Zudem habe er sich „körperlich aktiv betätigt“, nachdem der Wachdienst versucht habe, ihn am Schlucken von „rauschgiftverdächtigen Subs-tanzen“ zu hindern.
„Das Verhalten der S-Bahn-Wache ist menschenverachtend, abgesehen davon ist es überhaupt nicht ihr Job, nach Drogen zu fahnden“, sagt Abduls Betreuer. Der Junge sei zudem noch nie wegen Drogendelikten aufgefallen. Die Anzeige gegen seinen Mandanten wundert Magsam nicht: „Ich kenne kaum ein Verfahren, in denen Angriffe auf randständige Menschen nicht mit einer Gegenanzeige beantwortet würden.“
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