piwik no script img

Rot-Grün speckt ab

Übergangssenat verringert Zahl der Staatssekretäre „reichlich“. Wieland cancelt Bundesratsinitiative zur Graffitibekämpfung. Kohl soll CDU retten

von ANDREAS SPANNBAUER

Der Machtwechsel im Roten Rathaus ist vollbracht. Der neue Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit übernahm gestern Morgen um 8.30 Uhr die Amtsgeschäfte von seinem Vorgänger Eberhard Diepgen. „Wir werden zeigen, dass wir die Stadt regieren können“, sagte Wowereit.

Auf der ersten regulären Senatssitzung will die neue Regierung heute darüber entscheiden, welche Staatssekretäre in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden sollen. „Die bisherige Gesamtzahl von 20 Staatssekretären wird reichlich verringert, und ein Drittel der Staatssekretärsriege werden zukünftig Frauen sein“, teilte Senatssprecher Helmut Lölhöffel mit. Außerdem werde sich der Senat auch mit dem Nachtragshaushalt und der Sanierung der Bankgesellschaft beschäftigen und möglicherweise bereits erste Entscheidungen treffen. Daneben stehen nach Auskunft der Senatspressestelle auch die Berufung des Preisgerichtes für den Brüder-Grimm-Preis, das Schicksal des Wachturms am Potsdamer Platz und die Übergabe von drei Mauerelementen an die Vereinten Nationen auf der Tagesordnung. Klaus Wowereit wird am 28. Juni seine erste Regierungserklärung abgeben. Zu seinem Nachfolger an der Spitze der SPD-Fraktion soll heute sein bisheriger Stellvertreter Michael Müller gewählt werden.

Der neue Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne) sagte vor einer Personalversammlung unter Beifall, er werde sich engagiert für eine eigenständige Justizpolitik einsetzen und in Haushaltsfragen kämpferisch vor dem Senat auftreten. Der bisherige Staatssekretär Diethard Rauskolb wurde aus seinem Amt verabschiedet. Als Nachfolger benannte Wieland den bisherigen Leiter der Abteilung Strafvollzug, Christoph Flügge. Wieland versprach eine zügige Aufklärung der Affäre um die Bankgesellschaft. Er will morgen über die personelle Aufstockung der zuständigen Sonderkommission entscheiden. Eine Bundesratsinitiative, nach der Graffiti unabhängig von Beschädigung der Bausubstanz als Sachbeschädigung geahndet werden sollten, wurde zurückgezogen.

Der DGB forderte den Senat auf, rasch Konzepte für die Sanierung des Landeshaushalts und der Bankgesellschaft sowie für eine effektivere Wirtschaftsförderung vorzulegen. Die neue Wirtschaftssenatorin Juliane Freifrau von Friesen teilte mit, sie werde ihren Posten im Aufsichtsrat der angeschlagenen Bankgesellschaft nicht selbst wahrnehmen. Schadenersatzansprüche für die hohen Einnahmeausfälle müssten schnellstmöglich geprüft werden.

Die Tolerierung des rot-grünen Übergangssenats durch die PDS sowie die Option einer Regierungsbeteiligung der Sozialisten nach den Neuwahlen im Herbst wurden erneut heftig kritisiert. Die Verbraucherschutzministerin Renate Künast sagte, der PDS-Spitzenkandidat Gregor Gysi sei ein „glänzender Rhetoriker, aber auch ein glänzender Demagoge“. Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, Kerstin Müller, kritisierte, Gysis Kandidatur solle „reaktionäre“ Positionen übertünchen. Exbundeskanzler Helmut Kohl kündigte an, er werde sich massiv in den Wahlkampf einschalten, und warf der SPD vor, ihre Zusammenarbeit mit der PDS schade der Bundesrepublik. Der CDU-Spitzenkandidat Frank Steffel nannte das Angebot Kohls eine „Ehre für die Berliner CDU“. Der Exfinanzsenator Elmar Pieroth (CDU) hielt dagegen einen Lagerwahlkampf für „absolut falsch“. Gysi sagte über die bevorstehende Auseinandersetzung: „Es wird die letzte Schlacht eines zu Ende gehenden Kalten Krieges werden.“ Die Grünen teilten mit, sie würden mit einer „profilierten Spitzenkandidatin“ antreten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen