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Polen als Sorgenkind der EU

Im Mittelpunkt der vierten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen steht die Osterweiterung der Europäschen Union – und die Folgen des Gipfels von Göteborg

WARSCHAU taz ■ Gegen US-Präsident George W. Bush, der vor drei Tagen seine Grundsatzrede zur künftigen Europa-Politik Amerikas in Warschau gehalten hatte, kommt Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht an. Während Bush den Polen in Warschau zurief: „Ihr seid ein Vorbild für jedes neue Nato-Mitglied“, und damit Begeisterungsstürme auslöste, kam Schröder bei den vierten deutsch-polnischen Regierungskonsultationen gestern die undankbare Aufgabe des Mahners zu. Polen muss dringend seine Hausaufgaben machen. In den Verhandlungen mit der Europäischen Union bildet der größte Reformstaat in der ersten Gruppe der Beitrittskandidaten inzwischen das Schlusslicht. Der einstige Musterknabe ist zum Sorgenkind geworden.

Dass die Regierungskonsultationen, die Polen mit nur einem einzigen Land führt – dem Nachbarn Deutschland –, aber auf beiden Seiten als ein wichtiges politisches Forum angesehen werden und zu ernsten Gesprächen genutzt werden, zeigte die Teilnahme der Minister der wichtigsten Ressorts. An die deutsch-polnische Grenze nach Frankfurt an der Oder waren neben Bundeskanzler Gerhard Schröder und dem polnischen Ministerpräsidenten Jerzy Buzek auch die Außenminister Joschka Fischer und Wladyslaw Bartoszewski gekommen, die Verteidigungsminister Rudolf Scharping und Bronislaw Komorowski, die Innenminister Otto Schily und Marek Biernacki sowie die Familienminister und Staatssekretäre aus den Wirtschafts- und Umweltministerien.

Anders als bei den bisherigen drei Treffen standen diesmal nicht bilaterale Fragen im Mittelpunkt, sondern der Beitritt Polens zu EU. Auf dem EU-Gipfel in Göteborg, der am Sonntag zu Ende gegangen war, hatten Frankreich und Deutschland sich zunächst gegen die Festlegung eines Beitrittsdatums ausgesprochen. Präsident Chirac fürchtete ebenso wie Bundeskanzler Schröder, dass die Beitrittskandidaten in ihrem Reformeifer und -tempo nachlassen könnten, da sie glauben, den Beitritt schon in der Tasche zu haben. Schröder warnte offen davor, dass es nun allein von den Kandidaten und ihrer Vorbereitung auf den Beitritt abhänge, wann sie aufgenommen würden: „Es wird für kein Land einen politischen Rabatt geben.“ Am Ende war es das Abstimmungsfiasko in Irland, dem die Regierungschefs der EU mit dem Datum 2004 ein positives Signal entgegensetzen wollten.

Polens Ministerpräsident Jerzy Buzek, der wie kein anderer auf einen frühen Beitrittstermin gedrängt hatte, war in Göteborg wohl aufgegangen, was die Erfüllung seines Wunsches nun bedeutete. Statt in Jubel auszubrechen oder nach seiner Rückkehr in Warschau das Datum als seinen persönlichen Erfolg zu verkaufen, meinte er plötzlich: „Es kommt nicht darauf an, die Verhandlungen so schnell wie möglich abzuschließen, sondern am Ende das Referendum in Polen für die EU zu gewinnen.“

Die zurzeit größten Probleme in den EU-Verhandlungen sind die Übergangsfristen für polnische Arbeitnehmer und eine Frist für den Kauf von Agrarland oder Ferienhäuser durch Ausländer. Dabei gab es bei den Regierungskonsultationen diesmal etwas zu feiern: Genau vor zehn Jahren wurde der „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Beziehungen“ zwischen Polen und Deutschland abgeschlossen. GABRIELE LESSER

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