Berliner Schnauze im Männerquartett

Die Berliner Grünen-Fraktionschefin Sibyll Klotz soll Spitzenkandidatin bei der Wahl in der Hauptstadt werden

So schnell lassen sich Berliner nicht die Butter von der Schrippe nehmen. Nachdem der weithin unbekannte Frank Steffel CDU-Spitzenkandidat für die Neuwahlen in der Haupstadt geworden ist, ziehen die Grünen mit ihrer Landesprominenz nach: Fraktionschefin Sibyll Klotz schloss gestern eine Kandidatur definitiv nicht aus.

„Mich reizt schon, mich gegen die vier Jungs im Wahlkampf durchzusetzen“, sagte die resolute Ostberlinerin mit Blick auf die Konkurrenz. Zwar muss noch der Berliner Landesverband entscheiden. Aber nachdem die ehemalige Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer und der schwäbische Realo Cem Özdemir das Handtuch geworfen haben, spricht alles für die Mutter einer Tochter und – „das ist natürlich gut so“ – bekennende Lesbe.

Sie wäre im „Gegensatz zu Gysi“ keine virtuelle Kandidatin, sagt Klotz über Klotz. Denn wer in den Wahlkampf ziehe, müsse auch damit rechnen, hinterher die harten Oppositionsbänke des Berliner Abgeordnetenhauses zu drücken. Das hat die 40-Jährige, die in dem grünen Stadtranddorf Petershagen aufwuchs, schon jahrelang getan.

1990 gründete die Diplomphilosophin, nachdem sie ein Jahr zuvor die SED verlassen hatte, den Unabhängigen Frauenverband der DDR, zog auf diesem Label ins Berliner Parlament und schloss sich später der Grünen-Fraktion an.

Als ausgewiesene Arbeitsmarktexpertin begleitet sie kritisch den rasanten Umbruch der Hauptstadt, der vom Niedergang der Industrie und dem zögerlichen Aufschwung einer hochflexiblen Dienstleistungsbranche geprägt ist.

Sibyll Klotz kämpft dabei seit Jahren vehement gegen die Kürzung von Arbeitsfördermitteln, streitet mit Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler (SPD) en détail um jede Mark für ABM-, SAM-, 249 a- oder sonstige Projekte. Klotz verkörpert dabei etwas, was bei den zunehmend wirtschaftsliberalen Grünen inzwischen selten geworden ist: das soziale Gewissen.

Ihre Kandidatur ist daher auch ein Signal an die PDS, die mit Gysis Kandidatur im grünen Milieu wildert – frei nach dem Motto: Wir haben zwar auch kein Geld, aber wir wollen wenigstens gerecht sparen. Wenn Klotz ihre Berliner Schnauze aufmacht, klingt das durchaus glaubhaft, auch oder gerade weil sie nicht Gysis ironischen Witz hat.

Vor allem aber ist die Kandidatur von Klotz, die sich vor zwei Jahren gegen „den Nato-Angriffskrieg gegen Jugoslawien“ stark gemacht hatte, ein Signal an die Bundespartei. Der eher linke Berliner Landesverband will sich seine Personalpolitik nicht von den Realos aus der Bundestagsfraktion aufdrücken lassen.

Kein Wunder, dass Klotz, die sich auch als Fraktionsvorsitzende nicht zu schade ist, Demonstrationen gegen Neonazis mitzuorganisieren, gestern prompte Unterstützung von Bundesparteichefin Claudia Roth erhielt. Der Landesverband werde eine Spitzenkandidatin aufstellen, die auf jeden Fall eine Frau sein müsse, sagte Roth.

Die engagierte Frauenrechtlerin Klotz jedenfalls könnte im illustren Männerquartett der Spitzenkandidaten Steffel, Wowereit, Gysi und Rexrodt durchaus Punkte sammeln – vor allem aber am schönsten von allen berlinern.

Klotz: „Dit darf keene reine Männernummer werden.“

RICHARD ROTHER