ITALIENS OPPOSITION UNTERSCHÄTZT BERLUSCONI – UND MOKIERT SICH: Sehr konkrete Allgemeinplätze
Es gehört zum demokratischen Ritual, dass die Opposition das Regierungsprogramm kritisiert. Doch überraschte schon, was Oppositionsführer Francesco Rutelli aufstieß, als Berlusconi seine Absichten vor dem Senat darlegte. „War das alles?“, fragte Rutelli süffisant; bloß „Allgemeinplätze“ und „schöne Absichten“ habe er zu hören bekommen. Piero Fassino von den Linksdemokraten mäkelte gar, der Ministerpräsident habe „noch gar kein Regierungsprogramm“. Am stärksten aber erhitzte sich der ehemalige Staatspräsident Francesco Cossiga, der Berlusconi vorwarf, eine Rede in altem christdemokratischem Stil abgeliefert zu haben, ohne Ecken und Kanten, gehalten im Ton des immer dialogbereiten Gutmenschen.
Vor lauter Kritik am angeblich wolkigen „Christdemokraten“ Berlusconi entgeht Italiens Opposition allerdings, dass sie auf das Spiel ihres Widersachers reinfällt. Mag ja sein, dass Berlusconi die Wahlkampfkeule weggepackt hat, dass er nun plötzlich statt des lauten Populisten den Staatsmann der leisen Töne gibt.
Aber Rutellis Opposition wäre schlecht beraten, wenn sie den Ton mit der Substanz verwechselte. Auch im neuen, soften Berlusconi steckt der alte Hardliner. Berlusconis Vision vom Sozialstaat zum Beispiel: Höflich erinnerte der neue Ministerpräsident an den Wert der „Solidarität“. Doch dann reduzierte er den Sozialstaat auf eine Armenküchenversion, der sich nur noch um jene kümmert, „die den Anschluss verpasst haben“. Dem entspricht, dass Italiens Gesundheitssystem weitgehend privatisiert werden soll – die zusammengesparten Reste werden künftig nur noch jene notdürftig versorgen, die sich dank verpassten Anschlusses die Privatklinik nicht leisten können.
Mangel an Orientierung, wie die Opposition behauptet? Wohl kaum. Orientierungslos erscheint eher Rutellis Truppe. Wie anders lässt sich der Vorwurf erklären, Berlusconi habe „nichts gesagt“? Eine solche Opposition kann sich die Rechte nur wünschen: eine Opposition, die sich über „dünne Reden“ erhitzt, während es für ihre Wähler dicke kommt. MICHAEL BRAUN
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