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Klage gegen Ariel Scharon

Ein britischer Fernsehbericht sorgt für Wirbel: Nun verklagen Überlebende eines Massakers in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon den israelischen Ministerpräsidenten vor einem belgischen Gericht. Die Regierung ist empört

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Zwischen der britischen Rundfunk- und Fernsehanstalt BBC und der israelischen Regierung ist ein heftiger Streit ausgebrochen. Als „verzerrt, unfair und feindlich“ bezeichnete das israelische Außenministerium die Anfang der Woche von der BBC ausgestrahlte Sendung „Panorama“ über die Mitverantwortung von Ariel Scharon bei dem Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schattila im September 1982. Im Verlauf der Sendung mit dem Titel „Der Angeklagte“ fordern Experten dazu auf, Israels Premierminister Scharon, der damals Verteidigungsminister war, vor Gericht zu stellen. Scharon hatte die christlich-libanesischen Falangemilizen in die Lager gelassen, wo sie über palästinensische Zivilisten herfielen und mindestens 328 von ihnen töteten.Der Premierminister selbst nahm zu der Sendung keine Stellung.

Nach der Dokumentation reichten Überlebende des Massakers bei einem belgischen Gericht Klage gegen Scharon ein. In Belgien besteht seit 1993 die Möglichkeit, Verletzungen gegen die Genfer Konvention unabhängig vom Ort des Geschehens und der Nationalität des Täters zu ahnden. Im Falle einer Verurteilung würde Scharon theoretisch Gefahr laufen, verhaftet zu werden, sobald er belgischen Boden betritt. Der zuständige Richter muss nun entscheiden, ob die Klage zulässig ist.

Israels Oberstaatsanwalt Eliakim Rubinstein zeigte sich besorgt angesichts des Trends zu einer „Internationalisierung der Gewalt“, der Israel zum Opfer fallen könnte. Derartige juristische Schritte könnten die Gefahr in sich bergen, politisch missbraucht zu werden. Er habe aus diesem Grund stets gegen den Beitritt Israels zum Internationalen Gerichtshof argumentiert.

„Keinen Zweifel“ daran, dass Scharon „strafrechtlich verfolgbar ist“, hegt Richter Richard Goldstone, ein früherer Staatsanwalt bei den UN-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda. Gegenüber BBC-Reporter Fergal Keane erklärt er: „Wenn die Person, die die Kommandos gibt, weiß oder wissen sollte, dass eine Situation besteht, in der unschuldige Zivilisten verletzt oder getötet werden, dann ist diese Person so verantwortlich wie die Person, die die Kommandos ausführt.“

Demgegenüber meint der israelische General Joram Jair, der zur fraglichen Zeit Kommandant der Fallschirmspringereinheit war, die die Region von Sabra und Schatilla kontrollierte, dass von den Israelis „niemand auch nur geahnt“ hätte, dass ein Massaker geschehen könnte.

Eine israelische Untersuchungskommission gab indes Scharon die „Verantwortung dafür, dass außer Acht gelassen wurde, dass die Falangisten voraussichtlich Racheakte und Blutvergießen gegen die Bevölkerung der Flüchtlingslager verüben würden“, so in ihrem Bericht 1983. Er hätte die „Gefahr in Betracht“ ziehen müssen, als er die Milizen in die Lager ließ. Die Kommission empfahl die Entlassung Scharons, der nie wieder den Posten des Verteidigungsministers einnehmen sollte.

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