: Falsch beraten? Pech – und raus!
Die Ausländerbehörde beriet falsch: Nun droht einer Familie, die seit 20 Jahren in Hannover lebt, die Abschiebung
HANNOVER taz ■ Seit 1980 lebt der Arbeiter Hayrettin Akdemir in Hannover. Vor mehr als zwei Jahren hatte der Einwanderer aus der Türkei für sich, seine Frau und seine beiden Kinder einen Antrag auf Einbürgerung gestellt. Jetzt allerdings soll die Familie bis zum 1. Juli die Bundesrepublik verlassen, die Ausländerbehörde der Stadt hat sie zur Ausreise verpflichtet und droht mit Abschiebung.
Nach Angaben der niedersächsischen Grünen-Landtagsabgeordneten Silke Stokar hat die Familie just durch eine falsche Beratung der hannoverschen Ausländerbehörde ihre Aufenthaltsberechtigung verloren. Im Anschluss an das Erdbeben in der Türkei im Sommer 1999 hielt sich die Familie länger als das erlaubte halbe Jahr bei den Großeltern in Istanbul auf. Dabei reiste das Ehepaar mit seinen beiden Kindern allerdings noch vor der Überschreitung der Frist nach Hannover zurück und wurde beim Ordnungsamt vorstellig. Auf dem Amt sei ihm erklärt worden, er könne ruhig noch einmal in die Türkei reisen und habe um seine Aufenthaltsberechtigung nicht zu fürchten, sagte Akdemir gestern in Hannover. Nach zwei Wochen in Hannover reiste die Familien daraufhin für weitere fünf Monate in die Türkei. Nach der zweiten Rückkehr habe das Ordnungsamt ihn dann zur Ausreise aufgefordert, sagte der 37-Jährige.
Die grüne Landtagsabgeordnete Stokar kritisierte, dass das Amt neben der falschen Beratung auch noch den Ermittlungsdienst gegen die Familie einsetzte, um deren Abwesenheit zu dokumentieren. Ein Klage gegen die Aufforderung zur Ausreise sei schließlich in zwei verwaltungsgerichtlichen Instanzen gescheitert, weil der beauftragte Anwalt eine 14-tägige Widerspruchsfrist habe verstreichen lassen. Stokar nannte das Vorgehen der Ausländerbehörde skandalös und forderte die Stadt Hannover und das niedersächsische Innenministerium auf, den Ausweisungsbeschluss zurückzunehmen.
Der 37-Jährige macht zur Zeit eine Umschulung zum Betonfacharbeiter, die das Arbeitsamt finanziert. Seit 1980 lebte er unbescholten in Hannover, arbeitete dabei 17 Jahre lang sozialversicherungspflichtig. Im Sommer 1999 war er arbeitslos gemeldet und hatte die Erlaubnis für einen dreiwöchigen Urlaub erhalten. Als Akdemir beschloss, nach dem Beben länger in der Türkei zu bleiben, konnte er sich beim Arbeitsamt ohne Probleme ab- und elf Monate später wieder anmelden. JÜRGEN VOGES
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