: Tee und Trost im Ohr
■ Psychologie-StudentInnen helfen SchülerInnen am Schulzentrum Walle und lernen dabei selbst ein Stück Praxis kennen / „Offenes Ohr“ hat einen geschützten Raum
Schulprobleme, Liebeskummer, Stress mit den Eltern – an wen wende ich mich in meiner sehr persönlichen Ratlosigkeit? Freunden fehlt oft die Distanz oder das aufmerksame Ohr, zu Hause liegt zumeist das Problem und nicht der Ansprechpartner für die Lösung, und wer würde schon einem Beratungslehrer das Herz ausschütten? Ein neues Modell der Krisenbewältigung für SchülerInnen feiert gerade sein fünfjähriges Jubiläum im Schulzentrum Walle: „Das Offene Ohr“. Zwei PsychologiestudentInnen sitzen im Rahmen eines Praktikums an jedem Schultag von 9-13 Uhr in einem eigenen Raum des Schulzentrums und hören den 16 bis 19-jährigen SchülerInnen zu. „Wir sind vom Alter genau zwischen Lehrern und Schülern, so dass es eben nicht so ist als wenn man mit seinen Eltern redet, aber auch nicht wie mit Mitschülern oder Freunden“, sagt Studentin Soheila.
Die Resonanz ist aus allen Richtungen sehr positiv. Die Lehrer sehen sich durch das „offene Ohr“ entlastet. „In einer großen Gruppe kann man schlecht auf Einzelne eingehen und muß dabei noch Rücksicht auf die Anderen nehmen und den Unterrichtsstoff durchnehmen“, sagt eine Lehrerin. Manche Lehrer beklagen sich sogar schon, dass das Projekt, das aufgrund einer Initiative der Klassensprecherkonferenz ins Leben gerufen wurde, ausschließlich für Schüler da ist. Eine Lehrerin ist selbst zum „offenen Ohr“ in die Sprechstunde gegangen: „Ich habe das offene Ohr als Ventil für meine Probleme mit Schülern genutzt.“
Die SchülerInnen zieht es meist wegen außerschulischer Probleme ins „offene Ohr“. Eine der Psychologie-Stundentinnen berichtet, dass es zumeist die besseren SchülerInnen seien, die mit ihren Problemen Hilfe suchen. Prüfungsangst, Krach mit den Eltern oder Liebeskummer sind die häufigsten Gründe, die für einen regen Betrieb im „offenen Ohr“ sorgen. Viele Schüler kommen aber auch einfach nur „mal so“ in den Pausen vorbei und trinken eine Tasse Tee in einer gemütlichen Runde. „Wirklich ernste Gespräche ergeben sich ein- bis zweimal die Woche. Diskussionen können sich aber auch aus einer gemütlichen Teerunde ergeben“, berichtet Soheila. Im „offenen Ohr“ werden auch Diskussionen zu brenzligen Themen angesetzt, da geht es um „Sex vor der Ehe“, „Gewalt an der Schule“ und „Prüfungsstress“.
Die Rolle der StudentInnen kann auch dazu führen, dass Jugendliche plötzlich meinen, einen „guten Freund“ gefunden zu haben. Hier machen die angehenden PsychologInnen eine ganz klare Trennlinie: „Wir sind Ansprechpartner, aber keine Freunde zum Ausquatschen.“
Das „offenen Ohrs“ ist offensichtlich an der Schule gut angesehen. Insgesamt empfanden die sieben Studentinnen und zwei Studenten das Jahr als „schön und lehrreich“. Bei psychologischen „Härtefällen“ wie Selbstmordgefahr haben die Praktikanten von der Uni die Möglichkeit, den Schulpsychologischen Dienst zu kontaktieren. Dies ist auch für die Schulpsychologen eine Entlastung, die über das „offene Ohr“ indirekt helfen und präventiv eingreifen können. „Wir haben sonst nur Zeit für besondere Einzelfälle“, bedauert der zuständige Schulpsychologe.
Die Hemmschwelle zum „Offenen Ohr“ ist gleichzeitig niedriger und einer fast gleichaltrigen Person, mit der man schonmal beim Tee gequatscht hat, vertraut man sich leichter an als dass man den Schulpsychologen aufsucht.
Verena Kösters
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