piwik no script img

Einmischung erwünscht

Wer künftig internationale Krisen lösen will, muss das Völkerrecht ändern. Das Ziel: eine Weltpolizei, die militärische Eskalationen verhindert und die Menschenrechte verteidigt

Menschenrechtsverletzungen können nur gegen geltendes Völkerrecht gewaltsam verhindert werden

In Treue fest – so steht der Bundestag zu den Vereinten Nationen. Das bringt er heute in einem Beschluss zum Ausdruck, der von allen Parteien außer der PDS getragen wird. In Treue fest – es fragt sich nur, zu welcher Art von Vereinten Nationen: zu der von den Völkern der Erde ermächtigten Weltorganisation, die allein berechtigt ist, Gewalt anzuwenden, oder zu dem wohltätigen Verein, der (ideal verkörpert durch Onkel Tom Kofi Annan) mit hängenden Armen bescheiden hinter der losgelassenen Nato steht?

Der Text, der heute verabschiedet wird, ist offenbar von Diplomaten formuliert. Wenn man erwartet hatte, dass sich die Vertreter des deutschen Volkes endlich zu der Entmachtung äußern, die die UNO durch die Out-of-area-Strategie der Nato erfahren hat, so täuscht man sich. Irgendwie sind wir dafür, und irgendwie sind wir dagegen – so lässt sich der Beschluss zusammenfassen.

Die Vereinten Nationen werden nicht etwa aufgefordert, ihr in der Charta begründetes Gewaltmonopol gegen die Nato durchzusetzen. Andererseits aber wird das Verhalten der Nato auch nicht explizit gebilligt. Als sei sie nicht die Rivalin der UNO, als sei die Frage, welches der beiden Bündnisse sich endgültig durchsetzen wird, nicht die große Frage der Epoche, wird die Nato in dem Text überhaupt nicht erwähnt.

Der Bundestag setzt sich für eine „weitere Stärkung des Völkerrechts und des Menschenrechtsschutzes“ ein. Das klingt gut, und das wollen wir alle. Aber: Menschenrechtsverletzungen können nur unter Verstoß gegen das geltende Völkerrecht gewaltsam verhindert werden. Dessen Kern nämlich ist das Verbot der gewaltsamen Einmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten – und seien es Schurkenstaaten, die die Menschenrechte verachten. Will man den Schutz dieser Rechte verstärken und gewaltsam gegen skrupellose Staaten vorgehen, kann man nicht gleichzeitig das Völkerrecht stärken. Man müsste es ändern.

Denn dies ist die Rechtslage: Nur dann, wenn innere Angelegenheiten Außenwirkung haben und den Weltfrieden bedrohen, darf gewaltsam in das Territorium eines Schurkenstaates eingedrungen werden – und das nur unter der Bedingung, dass alle fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats einverstanden sind. Jedes dieser Mitglieder hat das Vetorecht. Damit verhindert die Charta, dass die Weltmächte in der Frage von militärischer Gewalt gegeneinander stehen und eine Eskalation zu einem neuen Weltkrieg eintritt.

Fürchtete man sich nicht vor solcher Eskalation, wollte man humanitäre Interventionen ohne den Konsens der Weltmächte riskieren, so dürfte man das geltende Völkerrecht nicht stärken. Man müsste es aufheben und die weltweite Anarchie ausrufen. Davon ist zum Glück nicht die Rede. Im Gegenteil fordert der Bundestag die Regierung auf, „sich dafür einzusetzen, dass militärische Interventionen nur im Einklang mit den Regeln des Völkerrechts, insbesondere mit den Bestimmungen der UN-Charta, erfolgen“. Eine Neuregelung dieser Frage wird nicht beabsichtigt. Auch das Vetorecht soll erhalten bleiben.

Aus guten Gründen geht man nicht an den Kern der Charta heran: Die Freigabe der humanitären Intervention würde ja nicht nur der Nato zugute kommen. Auch andere Mächte könnten überall dort einmarschieren, überall dort ihre Bomben und Raketen einsetzen, wo Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Deshalb soll der Respekt vor der Souveränität der Staaten erhalten bleiben.

Das will man irgendwie aber auch wieder nicht: „Staatliche Souveränität und der Schutz der Menschenrechte werden als zwei fundamentale Prinzipien in der Staatengemeinschaft neu gewichtet. Dem Generalsekretär der Vereinten Nationen ist zuzustimmen, dass kein Staat das Recht hat, das Prinzip der staatlichen Souveränität zum Vorwand zu nehmen, um Menschenrechte zu verletzen.“ Damit lässt man den Boden der Charta wieder wanken. Denn der Satz bringt diplomatisch zum Ausdruck, dass man zum Schutz der Menschenrechte bereit ist, die Souveränität der Nationalstaaten zu missachten und sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.

Aber irgendwie andererseits auch nicht: „Der deutsche Bundestag sieht in der Charta der Vereinten Nationen nach wie vor einen universellen Ansatz zur Verwirklichung eines friedlichen Zusammenlebens der Völker.“ Diese Formulierung geht mit der Charta wohl wollend, doch recht locker um. Immerhin steht sie als Rule of Law nicht zur Disposition. Sie ist nach dem Grundgesetz (Artikel 25) unmittelbar bindendes Recht und kein „Ansatz“. Wenn sie „nach wie vor“ als Ansatz gesehen wird, so kann das nur heißen: Man will zur Charta halten, obwohl man sie durch die Bomben auf Belgrad verletzt hat. Nett.

Warum ist der Beschluss so diplomatisch vieldeutig formuliert? Die Maxime, die dahinter steht, hat Joschka Fischer einmal mit den Worten „Wir haben unsere Verbündeten nicht zu kritisieren“ formuliert. Diese aber sind weder an der anarchischen Auflösung des Völkerrechts interessiert noch an seiner fälligen Weiterentwicklung, die auf den Aufbau einer legalen Weltpolizei hinausläuft. Denn dieser wären sie selbst unterworfen.

Mit Rücksicht darauf wagt es keine Partei, sich die Fortentwicklung der Vereinten Nationen zur Weltpolizei zum Ziel zu machen. Diese Zielsetzung wäre ein Angriff auf die Pax Americana und würde die Westbindung in Frage stellen. Nur in einem Code, der für kaum jemand und für unsere Verbündete sicher gar nicht verständlich ist, wird das Ziel formuliert, „die langfristige Verrechtlichung über normative Bezüge des Völkerrechts zu fördern“.

Die Maxime hat kürzlich Joschka Fischer formuliert: Wir haben unsere Verbündeten nicht zu kritisieren

Damit wird angedeutet: Irgendwann einmal soll die gewaltsame Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen – genauso, wie das jetzt schon innerhalb von Nationalstaaten funktioniert – einfache Rechtsdurchsetzung sein. Mit anderen Worten: Langfristig ist man auf eine völkerrechtlich legale Weltpolizei aus.

Und das ist richtig. Es wird Zeit, dass über diese Zielsetzung nicht nur durch die Blume gesprochen wird. Die Partei, die sie als erste offen auf ihre Fahnen schriebe, wäre gut beraten. Denn die Gründung einer legalen Weltpolizei ist die Voraussetzung für die militärische Desouveränisierung der Nationen. Sie ist der nächste fällige Schritt des Völkerrechts, sie ist die notwendige Konsequenz aus dem geschärften Weltgewissen, das Menschenrechtsverletzungen nicht mehr dulden und andererseits militärische Eskalation nicht riskieren will. Sie ist die große Aufgabe der Zeit.

Das Prinzip Polizei muss in seiner Überlegenheit gegenüber dem Prinzip Militär erfasst werden: chirurgische Eingriffe statt breiter Fronten, menschenschonende Technik, menschenschonende Ehrbegriffe. „Sicherheit und Ordnung“ müssen gute Wörter werden, die an die Stelle von „Opfern“ und „Siegen“ treten. Ein Hauch dieser Idee weht heute durch das Reichstagsgebäude.

SIBYLLE TÖNNIES

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen