: Der Patriarch will keinen Papst
Papst Johannes Paul II. besucht die Ukraine – und die traditionelle orthodoxe Kirche protestiert und warnt vor der katholischen Missionierung des Landes. Dabei hat das Oberhaupt der katholischen Kirche es doch nur gut meint: Es will versöhnen
von BARBARA OERTEL
Eines der Ziele seines Besuches in der Ukraine sei, die Spaltung zwischen Orthodoxie und Katholizismus aus dem 11. Jahrhundert überwinden zu helfen, ließ Papst Johannes Paul II. unlängst wissen. Doch das dürfte ein frommer Wunsch bleiben. Denn die erste Visite eines Papstes in der ehemaligen Sowjetrepublik überhaupt, die morgen beginnt und fünf Tage dauern soll, ist weit davon entfernt, die Anhänger unterschiedlicher Glaubensrichtungen zu versöhnen.
Im Gegenteil: Erst am vergangenen Donnerstag protestierten tausende orthodoxe Christen, flankiert von Nonnen, Mönchen und Priestern, mit Parolen wie „Der römische Papst ist ein Antichrist und eine persona non grata!“,„ Die Orthodoxe Kirche ist noch nicht tot!“ in Kiew gegen das bevorstehende Ereignis. Es war bereits die fünfte derartige Kundgebung in diesem Monat.
Anlässlich einer antipäpstliche Kundgebung in der vergangenen Woche war Außenminister Anatoli Zlenko deutlich geworden. „Es gibt Pläne von Provokateuren und Extremisten, die den Besuch dazu nutzen wollen, ihre politischen Ziele zu ereichen“, sagte er und forderte alle politischen und religiösen Gruppen auf, sich zurückzuhalten. Gleichzeitig warnte Zlenko, dass Zwischenfälle das internationale Image der Ukraine nachhaltig schädigen könnten.
Folgt man den Ausführungen des Außenministers, so sitzt einer der Provokateure in der russischen Hauptstadt Moskau, heißt Alexis II. und ist Moskauer Patriarch. Alexis II. meldete sich zuletzt vor zehn Tagen zu Wort und warnte davor, der Papstbesuch könne die Beziehungen zwischen seiner Kirche und dem Vatikan weiter belasten. Dann aber kam der Kirchenmann zum Wesentlichen: „Ich kann das nur schwer verstehen, wenn ich sehe, wie in diesen Tagen Katholiken orthodoxe Diözesen in der Ukraine unterdrücken, Menschen aus ihren Kirchengebäuden geworfen, Priester angegriffen werden und unsere Heiligen Ziel von Blasphemie sind“, sagte er.
Das fällt bei den Schäfchen der Orthodoxen Ukrainischen Kirche auf fruchtbaren Boden. Sie ist die größte Glaubensgemeinschaft in der Ukraine. Seit 1990 verwaltungstechnisch unabhängig, unterstehen die ukrainischen Orthodoxen doch immer noch dem Moskauer Patriarchiat. Die Anhänger dieser Kirche, die zu Sowjetzeiten die einzig legale war, können sich nicht damit abfinden, dass die Orthodoxie seit Anfang der 90er-Jahre nicht nur viele ihrer Pfarreien und Kirchen, sondern auch ihren Alleinvertretungsanspruch für die Christen in der Ukraine verloren hat. Sie warnen vor Missionierungsoffensiven und berichten von angeblichen Zwangsbekehrungen durch die Katholiken.
Die griechisch-katholische Kirche hingegen sieht in ihrer Wiederzulassung 1989 lediglich historische Gerechtigkeit. 1946 unter Stalin verboten, war ihr gesamter Besitz enteignet und viele Priester verhaftet worden.
Nach 1989 holte sich die Kirche viele ihrer Gebäude und Liegenschaften zurück – doch viele Rechtsstreitigkeiten sind weiter ungeklärt. Heute besitzt die Kirche 3.500 meist im Westen der Ukraine gelegene Pfarreien und repräsentiert knapp sechs Millionen Gläubige.
Nicht zuletzt die wiederholten Verbalattacken Alexis’ II .riefen jetzt auch das Oberhaupt der Katholischen Kirche, Kardinal Lubomir Husar, auf den Plan. „ Die Anschuldigungen über die Verfolgung von Orthodoxen im Westen der Ukraine und eine Zwangsbekehrung sind so weit von der Wahrheit entfernt, dass es schwer fällt, in ihnen den wahren Grund für den Streit zu sehen“, sagte Husar. Ein Beweis für die guten Absichten des Papstes sei seine Ankündigung, sich mit Vertretern aller christlichen Kirchen treffen zu wollen.
Doch genau da liegt das Problem. Denn Johannes Paul II. reißt auch Gräben innerhalb der Orthoxie auf. Seit einer Spaltung 1992 existieren neben der Orthodoxen Ukrainischen Kirche auch noch die „Ukrainisch Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchiats“ und die „Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche“. Deren Vertreter zeigten sich bislang tolerant und keineswegs abgeneigt, den Papst zu treffen. Was der große Bruder Alexis II. mit der Bemerkung quittierte, ein derartiges Treffen sehe er als einen unfreundlichen Akt an.
Somit bewegt sich der Papst unweigerlich auf einem Minenfeld. Um Explosionen größeren Ausmaßes bei den vier vorgesehenen Massen-Messen in Kiew und Lviv mit insgesamt zwei Millionen erwarteten Pilgern zu vermeiden, bietet die Regierung 30.000 gut ausgerüstete Polizeikräfte auf. Der Einsatz kostet zwischen zwei und fünf Millionen Dollar, ist aber wohl nötig.
Schon jetzt kündigte einer von Alexis’ Kiewer Statthaltern, der orthodoxe Priester Gerontii an, er werde dem Papst höchstpersönlich den Zutritt zu dem Höhlenkloster Pecherska Lavra in Kiew versperren. „Wenn ein Feind zu ihnen kommt, bleiben Sie dann ruhig? Der Papst ist ein Feind der menschlichen Seele“, sagte er.
Bei so viel Starrsinn können sich manche nur wundern. Die Orthodoxen, schrieb die englischsprachige Zeitung Kiew Post, „scheinen nicht zu begreifen, dass sie ohne diesen Mann, Johannes Paul II., noch immer unter einem auf Moskau ausgerichteten Kommunismus leben würden“.
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