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Den Idealen immer treu

Von Entschuldigungen können sie sich nichts kaufen, denken viele PDSler in Marzahn. Die CDU in Frohnau findet neue Mitglieder

aus Berlin BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Das Kinocenter heißt Sojus, der Eintritt kostet 2,50 Mark. In dem russischen Geschäft gegenüber werden Krimsekt, Wodka, Mischka-Konfekt und andere Spezialitäten des ehemals großen Bruders verkauft. In der Auslage des Buchladens im gleichen Gebäude sticht ein Bestseller ins Auge: „Stroh im Kopf“ – Gebrauchsanleitung fürs Gehirn. Auf der Rückseite heißt es: „Erziehung, Schule und Ausbildung hinterlassen Spuren.“

Geht alles seinen sozialistischen Gang in dem Ostberliner Plattenbezirk Marzahn, wo die PDS die absolute Mehrheit und Gregor Gysi seinen Wahlkreis hat? Zunächst könnte man meinen, den irreal existierenden Sozialismus zwischen den Hochhäusern spüren zu können. Doch nur weil die Menschen dort in Straßen wohnen, die Allee der Kosmonauten heißen, leben sie nicht unbedingt hinterm Mond.

„Die Kommunisten, diese Penner!“, schimpft ein Arbeiter beim Feierabendbier vor dem Pizza-Express. Der 47-Jährige ist CDU-Wähler und weiß, dass er zu einer Minderheit im Bezirk gehört. Aus seiner Abneigung gegen die PDS macht er keinen Hehl. „Wenn die an die Regierung kommt, geht das Theater doch von vorne los!“ Der Gysi habe „vielleicht als Politiker was auf der Kirsche“. Trotzdem sollten sich die Genossen von der PDS „verpissen“.

Das sieht ein Kraftfahrer, der auf der Rückseite des Pizza-Express ebenfalls beim Bier sitzt, anders. „Ich hoffe, der Gysi wird Bürgermeister“, sagt der 41-Jährige, der blonde Strähnchen im Haar trägt und Tätowierungen auf dem Unterarm. „Meine Stimme kriegt er.“ Besonders „auf dem sozialen Sektor“ erwartet er viel von der PDS. Und: „Vielleicht kriegen dann auch mal Ostinvestoren eine Chance.“ Dass die PDS nicht kritisch genug mit ihrer Vergangenheit umgeht, findet er nicht. „Ich weiß nicht, ob die CDU ihre Vergangenheit aufgearbeitet hat.“ Knapp zwanzig Mitglieder hat der 1.800 Mitglieder zählende PDS-Verband in Marzahn/Hellersdorf verloren, nachdem sich die PDS-Vorsitzende und ihre Stellvertreterin für die Zwangsvereinigung von KPD und SPD entschuldigt hatten.

Blockflöte, Parteipfeife

Ganz nach dem Motto „Vorwärts immer, rückwärts nimmer“ sind viele Marzahner der Meinung, dass man sich für Entschuldigungen nichts kaufen kann und dass es höchste Zeit für eine Regierungsbeteiligung der PDS in Berlin ist. Nur: Ob die Partei angesichts der schwierigen Finanzlage in der Stadt den Karren aus dem Dreck ziehen kann, weiß niemand so richtig. Der Wahlkampfleiter der PDS Marzahn sagt, Kommunalpolitiker der PDS hätten große Angst, Verantwortung zu übernehmen, wo neue Verantwortung drohe. Ein CDU-Bürgerdeputierter, dem eine PDS-Regierungsbeteiligung gleichgültig ist, hat eine andere Befürchtung: „Ich habe Angst vor alten Seilschaften. Die sind 100-prozentig da.“

Ein Blick in die Höhle des Löwen ernüchtert. In einem holzvertäfelten Keller im Haus neben dem Wahlkreisbüro von Gregor Gysi trifft sich einmal im Monat die Basisgruppe Alt-Marzahn. Am Dienstagabend waren sechs von zwölf Mitgliedern da, drei Männer und drei Frauen zwischen 51 und 70 Jahren. Vor sich haben sie Bier, hinter sich Wandsprüche wie „Meinen Idealen bleibe ich treu“ oder „Viele Blockflöten haben für die Menschen mehr getan als die heutigen Parteipfeifen“. Die Stimmung ist nüchtern, von Revolution keine Spur. Wie immer sitzen die Genossen, die ihr Abonnement des Neuen Deutschland nie abbestellt haben, „locker zusammen“, wie sie es nennen. Zuerst werden die Mitgliedsbeiträge kassiert. So viel Ordnung muss sein.

„Sicherlich ist es eine gute Sache, wenn Gysi kandidiert“, sagt Gisela Höbbel, seit 1990 Sprecherin der Basisorganisation. „Aber es wird kein leichter Prozess sein.“ Nach Ansicht der 51-jährigen studierten Diplomökonomin soll die PDS nur dann in die Regierung eintreten, „wenn man sich über Themen wie Jugend oder Soziales verständigen kann“. Eine andere Frau fordert, dass der „Mist“ – sie meint die Bankenaffäre – restlos aufgeklärt werden muss – „von Leuten mit sauberen Händen“. Eine 51-jährige Wissenschaftlerin gibt sich provokanter: „Das gibt richtig schönen, frischen Wind. Endlich ist mal was los!“ Was von der PDS zu befürchten sei? „Die Stasi wird wieder rausgeholt!“, sagt sie und lacht laut.

Werner Jaretzki, mit seinen 70 Jahren der Älteste im Bunde, grinst und streicht zärtlich über sein PDS-Mitgliedsbuch, das er in einer Schutzhülle mit dem Schriftzug „40 Jahre Deutsche Volkspolizei“ aufbewahrt. Er stellt sich vor als ehemaliger Leiter der Schutzpolizei Prenzlauer Berg. 1989 habe er vor der Gethsemanekirche „Gerechtigkeit geübt und Übergriffe verhindert“. Damals ging die Polizei massiv gegen Demonstranten vor. Die Lageeinschätzung des weißhaarigen Genossen für das Jahr 2001: „Einen Krieg wird es nicht geben.“ Die anderen lassen ihn gewähren, sie kennen seine Sprüche.

Es ist schon seltsam. Jetzt, wo die Kontrolle und Beteiligung am Gemeinwesen in greifbare Nähe gerückt sind, halten sich die Genossen zurück. Es fallen Schlagwörter von der „Verteilung von oben nach unten“, von „sozialer Gerechtigkeit“, vom „Aufbrechen verkrusteter Strukturen“, von „bürgernaher Verwaltung“ – und von einem „konstruktiven Umgang mit der Vergangenheit“. „Aber“, so schränkt der Ehemann von Gisela Höbbel ein und spricht für alle, „wir wehren uns dagegen, dass das, was wir in 40 Jahren gemacht haben, in den Schmutz getreten wird“.

So etwas hört man gar nicht gerne in dem Westberliner Stadtteil Reinickendorf, genauer gesagt im Ortsteil Frohnau. Der mit 214 Mitgliedern stärkste der zehn Ortsverbände ist der Wahlkreis des CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel. In Frohnau zwängte die Mauer, errichtet fünf Jahre vor Steffels Geburt, die ländliche Idylle in ein Grenzkorsett. Die Abscheu gegenüber den Kommunisten sitzt noch heute tief. Zwar werden in einem Geschäft Münzen aus der DDR und Sonderbriefmarken „Deutsche Einheit“ gut sichtbar im Schaufenster angeboten. Doch wenn der Osten in Form der PDS daherkommt, ist Schluss mit lustig.

In der Geschäftsstelle des Kreisverbandes, untergebracht im ehemaligen Rathaus zusammen mit dem Gewerbeaußendienst der Polizei, berichtet die zuständige Sachbearbeiterin: „Die Bevölkerung ist entsetzt, dass die SED im neuen Gewand wiederkommen könnte.“ Leute hätten angerufen, die über die Abwahl des langjährigen Bürgermeisters Eberhard Diepgen (CDU) weinten. Doch sie hat auch Grund zur Freude. Seit einer Woche würden jeden Tag ein bis zwei Reinickendorfer Mitgliedsanträge anfordern.

Tränen für Diepgen

Obwohl der Wahlkampf noch nicht in der heißen Phase ist, hängen schon die ersten Kampfansagen an die PDS in der Geschäftsstelle. Auf Flugblättern wird gewarnt vor „staatlicher Gängelung, Reglementierung und Einschnitten in die Marktwirtschaft“. Die Sachbearbeiterin drückt sich vorsichtiger aus: „Wir wollen die Bevölkerung darauf hinweisen, dass sich vieles ändern würde mit der PDS an der Regierung.“

„Die PDS hoffähig zu machen, das ist die größte Schweinerei“, schimpft ein 76-jähriger Rentner. Für den langjährigen CDU-Wähler ist die PDS „ein rotes Tuch“. Unvergessen sind ihm die Grenzschikanen. „Die haben uns wie kleine Kinder behandelt.“ Nun befürchtet er eine „erneute Bevormundung“. Eine 80-jährige Frau bezweifelt, dass die PDS „mit unserer Sache so vertraut ist“. Mit unserer Sache meint sie Westberlin. Zudem beklagt sie, dass sich ihre Ostverwandtschaft seit einem Jahr nicht mehr gemeldet habe. Ihre Erklärung: „Denen geht es zu gut.“

Ein 55-jähriger Restaurantbesitzer, der einen stattlichen Bauch vor sich herschiebt, ist „sehr traurig“, dass die Bundes- und die Berliner CDU wegen ihrer Geldspenden an Ansehen verloren haben. Doch der Mann, der Italiener ist und seit 25 Jahren in Reinickendorf lebt, betont, dass ihm Kohl und Diepgen ans Herz gewachsen seien: „Das ist wie bei kleinen Kindern, die immer brav sind. Machen sie einmal in die Hose, werden sie geschlagen.“ Der PDS traut er nicht über den Weg. „Ein Hund, der einmal beißt, kann wieder beißen.“

Während jeder glaubt, alles über die PDS zu wissen, kennt kaum jemand in Frohnau den CDU-Spitzenkandidaten Frank Steffel, obwohl er fast vier Jahre Ortsvorsitzender war. Das soll sich heute ändern, wenn er Flugblätter verteilen wird. Darin heißt es: „Vergessen wir nie: Die PDS/SED ist durch ihre jahrzehntelange Misswirtschaft Hauptverursacher der Berliner Finanzsorgen.“

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