Im Zweifel für das Kind

„Pauschal“ und „zynisch“: Gericht rügt Praxis der Ausländerbehörde zur Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen  ■ Von Heike Dierbach

Die Verfahrensweise, mit der die Hamburger Ausländerbehörde das Alter minderjähriger Flüchtlinge in Grenzfällen festlegt, „erscheint zynisch und lässt nicht erkennen, dass den Grundsätzen des Minderjährigenschutzes Rechnung getragen wird“. Das hat jetzt das Hamburger Verwaltungsgericht in dem Fall eines 15-jährigen Mädchens aus Togo festgestellt – und dessen Umverteilung als „Erwachsene“ nach Halberstadt in Sachsen-Anhalt gestoppt. Die Behörde müsse im Zweifel „das für den Minderjährigen günstigere Recht anwenden“, und zwar regelmäßig.

Unbegleitete Flüchtlingskinder und -jugendliche haben nur bis 15 einen Anspruch darauf, in einer betreuten Jugendwohnung untergebracht zu werden. Ab 16 gelten sie ausländerrechtlich als erwachsen, dürfen nicht zur Schule gehen, müssen auf den überfüllten Wohnschiffen wohnen und damit rechnen, in andere Bundesländer „weiterverteilt“ zu werden. In den meis-ten Fällen zweifelt die Behörde eine Altersangabe unter 16 Jahren an.

Jaquie S.* war im Mai diesen Jahres aus Togo nach Hamburg gekommen. Als sie bei der Hamburger Ausländerbehörde ein Asylgesuch stellte, bezweifelte diese ihre Altersangabe und legte fest, dass Jaquie S. just an jenem Tag ihren 16. Geburtstag hatte. Jaquie S. legte eine Geburtsurkunde vor – für die Behörde „angesichts der Vielzahl der Fälschungen“ auch kein Beweis. Sie schickte Jaquie S. zu einem Kinderarzt, der auf einem Formular ankreuzte, dass das Mädchen „über 16“ sei.

Ein solches Formular ist jedoch „nicht aussagekräftig“, stellt das Gericht fest, da die Alterseinschätzung nicht anhand medizinischer Untersuchungsergebnisse begründet werde. Auch die „pauschale Feststellung, es sei in Afrika leicht, an gefälschte Urkunden zu kommen, genügt nicht“: Jaquie S. ist jetzt auch offiziell 15 Jahre und einen Monat jung, und konnte mittlerweile vom Wohnschiff in eine Jugendwohnung in Hamburg umziehen.

Dass es medizinisch nicht möglich ist, das Alter eines Jugendlichen sicher zu bestimmen, stellte erst im April diesen Jahres die Ärztekammer Hamburg klar. Auch eine Untersuchung der Zahnentwicklung biete keine „hinreichende Sicherheit“. Die Behörde bemüht für diese Unterschungen häufig nicht einmal Mediziner – sondern lässt sie von ihren SachbearbeiterInnen in den Räumen der Ausländerbehörde durchführen.

Den betroffenen Flüchtlingskindern droht nicht nur eine Behandlung als Erwachsene, sondern auch noch ein Verfahren wegen „mittelbarer Falschbeurkundung des Alters“ – was sich wiederum negativ auf das Asylverfahren auswirkt.

* Name von der Redaktion geändert