: Staatsauftrag: Gedenken
Seit 1989 wird die Erinnerungspolitik der DDR entideologisiert. Eine verdienstvolle Dokumentation
Während die frühe Adenauer-Demokratie ohne Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus auskam, gab es in der DDR die Erinnerung ohne Demokratie. Das konstatierte der US-Historiker Jeffrey Herf in seiner vielbeachteten Studie zur „divided memory“ in Deutschland. Diese gegenläufige Entwicklung in Ost und West macht die Dokumentation „Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus“ sichtbar.
Während der 1995 veröffentlichte Band Gedenkorte in der alten Bundesrepublik erforschte, beleuchtet der zweite nun Ostdeutschland. Neben Gedenkstätten an Orten der NS-Verbrechen sind auch kleinere Mahnmale oder Gedenktafeln auf Friedhöfen berücksichtigt. Nach Bundesländern gegliedert, informiert das Nachschlagewerk auf knapp 1.000 Seiten über die Orte und ihre Entwicklung seit 1945.
Die Geschichte der Gedenkstätten in der Bundesrepublik ist verhältnismäßig jung. Zwar wurden erste Erinnerungszeichen bereits kurz nach Kriegsende von Überlebenden aufgestellt. Aber der Aufbau von Gedenkstätten an authentischen Orten und die begleitende Bildungsarbeit beginnt – mit Ausnahmen wie Dachau – erst Ende der 70er-Jahre. Damals gingen zuerst Bürger auf Spurensuche. Diese Geschichtsbewegung „von unten“ erinnerte seit den 80er-Jahren auch an vergessene Orte wie KZ-Außenlager.
Ganz anders in der DDR: Zwar hatten sich auch hier zunächst Überlebende für Erinnerungszeichen stark gemacht. Aber der Kalte Krieg und die Stalinisierung der SED führten zur Vereinheitlichung des Gedenkens. Propagandaziel der DDR-Führung war: den Staat in die Tradition des kommunistischen Kampfes gegen den Nationalsozialismus zu stellen. Für andere Opfer wie Homosexuelle, vor allem aber die Juden war im offiziellen Geschichtsbild kein Platz.
Der Rote Winkel wurde zum staatlich vorgeschriebenen Gedenkemblem. Sinnbild der Vereinheitlichung waren die „Nationalen Mahn- und Gedenkstätten“ in Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück. Erst nach der Wende konnten die derart instrumentalisierten Gedenkstätten ideologisch entrümpelt werden – die Verantwortung übernahmen die neu gegründeten Länder. Nun bildeten sich auch in den ostdeutschen Ländern Bürgerinitiativen, die gegen einen allzu radikalen Kehraus Front machten und entschlossen gegen die Umbenennung von Straßen eintraten. Nach einer Phase der „wilden Entledigung“, als Mahnmale zum Teil in Nacht-und-Nebel-Aktionen zerstört wurden, setzen einige Länder nun schrittweise die Empfehlungen von Expertenkommissionen um.
In diesem Schwebezustand kann die Dokumentation nicht mehr als einen ersten Überblick über die veränderte Gedenklandschaft im Osten bieten. Fanden sich im ersten Band höchstens knappe Übersichten zu den einzelnen Ländern, bieten jetzt die Texte, etwa von Sachverständigen wie Stefanie Endlich, eine Hinführung zum Thema. Immer wieder kommt es dabei zu Doppelungen – so, wenn es um die Ausgrenzung von Opfergruppen geht. Auch bieten die Texte keinen echten Vergleich, etwa zwischen Mecklenburg-Vorpommern, auf dessen Territorium ausschließlich KZ-Außenlager lagen, und dem heutigen Brandenburg, auf dessen Gebiet sich Ravensbrück und Sachsenhausen befanden. Die Unterschiede in der Auseinandersetzung mit dem DDR-Gedenken werden nicht herausgestellt: Während Brandenburg und Thüringen Experten beauftragte, gibt es in Schwerin lediglich eine Projektgruppe. Auch die Sonderrolle Berlins als Bundesland und Hauptstadt bleibt undeutlich, insbesondere die Schwierigkeit mit der Gedenkstättenkonzeption des Bundes. Gleichwohl ist das Buch nicht weniger als eine Bestandsaufnahme der Gedenkkultur im zusammenwachsenden Deutschland.
NICOLE MASCHLER
„Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation. Band 2“, 992 Seiten, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2000
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen