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Poesie über der Hauptstadt

Siehste, geht doch! Ulrich Schreiber, Initiator des Berliner Literaturfestivals, zieht eine durchaus positive Bilanz

„Aber diese Gedichte haben doch tausende gelesen!“ Ulrich Schreiber versteht schon die Frage nicht. Ob es nicht sinnvoll wäre, beim Internationalen Literaturfestival im nächsten Jahr stärker auf Prosa zu setzen, die doch publikumsträchtiger und kommunikativer als die von ihm so bevorzugte Poesie wäre.

Es ist Sonntag, und das Festival, das unsere Hauptstadt, so darf man sagen, mehr als eine Woche lang durchaus in Atem hielt, geht im Berliner Ensemble zu Ende. Auch am Abschlusstag ist das Programm noch einmal ebenso vielfältig wie erschöpfend: Es lesen so unterschiedliche Autoren wie Antonio Tabucchi (Italien), Marina Colasanti (Brasilien) und Kazuko Shiraishi (Japan), dazu viel Musik und ganz am Ende sogar noch ein „literarisch-musikalisches Nachtcafé über die Entstehung der ‚Dreigroschenoper‘ “. Das eigentliche Leben spielt sich jedoch in dem großen Innenhof hinter dem BE ab. Im strahlenden Sonnenschein sitzen Autoren und Besucher, Festivalleiter und Zeitungsmenschen, Gut und Böse ganz entspannt zusammen.

Siehste, geht doch: Poetry makes the people come together, so wie es vom Initiator des Festivals gedacht gewesen war. Ulrich Schreiber, für den der Russe Alexander Kopanev gerade ein naturgemäß todtrauriges Liebeslied schmettert, hat es geschafft: Nach den zehn Veranstaltungstagen kommt man, wenn man über das Internationale Literaturfestival spricht, an seiner Person nicht mehr vorbei.

Am Donnerstag hatte Ulrich Schreiber seinen größten Coup gelandet: zunächst einer in seinen Augen überkritischen Presse die Leviten gelesen (was prompt Wirkung zeigte – bereits am Samstag schrieb die Berliner Zeitung wieder lammfromm und mit besten Wünschen), um dann beim offiziellen Empfang im Roten Rathaus schon mal den Termin für das nächste Festival bekannt zu geben (vom 13. bis 23. Juni 2002), das wiederum hauptsächlich von der Deutschen Klassenlotterie gesponsert werden soll.

Und auch auf der Abschlussfeier im BE ist Schreiber allgegenwärtig, läuft herum, ist für jeden ansprechbar und lässt doch nicht mit sich reden. Er hat etwas von der selbstverständlichen Überzeugungsfähigkeit eines Politikers an sich und wirkt gleichzeitig wie ein Missionar. Unter all diesen Leuten scheint er seltsam abwesend und entrückt, fast ein wenig einsam. Aber das ist natürlich alles Spekulation, man könnte auch sagen: Poesie.

Was bleibt, sind für Ulrich Schreiber die positiven Eindrücke von seinem Festival. Die Begeisterung der Autoren, die Entdeckung der Sophiensaele als Veranstaltungsort, das von Jakob Mattner gestaltete Bühnenbild, der Publikumszuspruch und der Erfolg der Aktion „Berlin flaggt: Poesie!“. Natürlich müsse man einiges überdenken: die Koordination des Rahmenprogramms beispielsweise, die doch zum Teil recht mäßig besuchten Kinoveranstaltungen oder Jugendbuchlesungen, die man noch besser und rechtzeitiger publik machen könnte. Aber alles in allem sei er sehr zufrieden.

Man möchte ihm spontan Recht geben: Tatsächlich war ja auch ganz Berlin wochenlang voller Gedichte, die unter anderem an Plakatwänden klebten oder einem in der U-Bahn auflauerten. Es war auf der Eröffnungsfeier des Literaturfestivals im DG-Bankhaus am Pariser Platz, als Ulrich Schreiber seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, das Festival möge eine „Berlinale der Poesie“ werden. Dabei fiel einem diese Kurzgeschichte von Martin Amis ein, „So macht man das“ (aus dem Erzählungsband „Schweres Wasser“), in der die Welt auf den Kopf gestellt wird. Gedichte, nicht Drehbücher, werden verfilmt; Poeten sind die millionenschweren Stars der Szene, während Prosaautoren ein karges Dasein fristen, ihre Drehbücher in kleinen Literaturmagazinen veröffentlichen und sich in schäbigen Cafés zu Drehbuchlesungen treffen.

Und plötzlich fand man gerade die Idee, dass – ganz im Sinne von Martin Amis! – eine kleine Form so groß herausgebracht werden sollte, faszinierend. Vielleicht ja auch noch im nächsten Jahr . . . ANDREAS MERKEL

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