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Quätscheste Opposition

DAS SCHLAGLOCH von FRIEDRICH KÜPPERSBUSCH

Wäre ich Rudolf Scharping, würde ich auch lieber die Tour de France kommentieren als den Wehretat

„Die häufigen Debatten von Politikern in Talkshows sind für den Bedeutungsverlust des Parlaments verantwortlich.“ Bundestagspräsident Wolfgang Thierse diese Woche

Häufige Debatten von Politikern im Parlament müssten dagegen zum Bedeutungsverlust der Talkshows beitragen – ist der Umkehrschluss. Und damit genauso quatsch, nachgerade „noch quätscher“, wie SPD-Pitbull Herbert Wehner dunnemals einen frühen TV-Reporter auf eine unerwünschte Frage beschied.

Thierses These drückt ein Missbehagen am politischen Fernsehen aus, das nicht als die Kritik des Armamputierten an Schlagzeugsolos verunglimpft werden muss. Aber signifikant häufig von den eher machtlosen Machthabern, den Bundes- und Bundestagspräsidenten bekundet wird. Eine Weizsäcker-Kommission zum Fernsehen wünschte dem Medium „eine Art Stiftung Warentest“, Amtsinhaber Rau formulierte die nämliche Kritik bereits mehrfach, und auch Roman Herzog mokierte sich übers Fernsehen, wenn er es nicht selbst gerade moderierte.

Damit das alles aber stimmte, dürfte Wolfgang Clement nicht Chef der „NRW AG“ sein und Gerhard Schröder nicht Chefredakteur des neuen Deutschlands. Ist er aber, was im Folgenden zu beweisen ist.

Kohl-Affäre, Benzinpreise und Kampfhunde, NPD-Verbot, Fischers WG-Erfahrungen und Kabinettsumbildung, Zwangsarbeiterentschädigung, BSE und MKS, Castor-Transport, Konjunkturprobleme, Berliner Neuwahlen: So summieren sich die größeren Themen der letzten anderthalb Jahre. Was anderes können die auch nicht, denn miteinander haben sie auf den ersten Blick nichts zu tun. Vielmehr sträubt sich einem in der Nachschau einiges, die Bilder etwa von Mastinos mit Judenstern und Juden in Nazifabriken auch nur oberflächlich in einen Zusammenhang zu stellen. Oder Schröders „Aufstand der Anständigen“ gegen die vollständige Abwesenheit einer nötigen Aufarbeitung des Kosovokrieges auf dieser Liste.

Bizarr, dass sich Joseph Fischer vor der deutschen Öffentlichkeit eher für die Flurwoche seiner Wohngemeinschaft zu rechtfertigen hat als für den ersten deutschen Feldzug seit dem bis dahin allseits so verstandenen letzten deutschen Feldzug. Die NPD-Verbotsdebatte – im Keim absurd. Die Kripo Düsseldorf hat noch heute eher die Russenmafia im Verdacht, und Hinweise auf rechtsradikale Hintergründe des S-Bahn-Attentats gibt es gar keine. Trotzdem löste dieses Ereignis scheinbar die Debatte aus. Kampfhunde hat’s gegeben, wird’s wieder geben. Wenn also ein Teil dieser Themen für die Gesellschaft bedeutend ist, ein anderer Teil willkürlich hochgepumpt, und ein bedeutsamer, dritter Teil schließlich fehlt: Was ist das dann? Politik als die Not, dass sonst heute Abend keine Talkshow kommt? Oder keiner in sie? Da thierst es aber nun gewaltig; das scheint plausibel.

Ja: Es gibt Politiker, die mit gleicher Vehemenz abwechselnd Mastinos und Schweineherden keulen oder retten wollen. Wäre ich Rudolf Scharping, würde ich mich auch lieber zu einer Tour-de-France-Betrachtung laden lassen, als mit einem Journalisten zu streiten, der vom ganzen Milliarden-Wehretat ’ne Meinung hat. Aber nicht für 20 Pfennig begriffen, worum es geht. Hie die Journalisten, die sich mitunter ohnmächtig wie mutig gegen die Machthaber zu stellen wähnen. Dort die Politiker, die die vierte Gewalt als unentrinnbare „Meute“ empfinden und benennen. Herlinde Koelbls gleichnamiger ARD-Film eröffnete soeben die Kölner Medientage. Und neben anderem birgt er die kleine Kostbarkeit, wie der ehemalige Bild-Chefredakteur Udo Röbel sich gegenüber Kanzler Schröder als „am längeren Hebel sitzend“ beschrieb. Und Nachfolger Diekmann berichtet, zum Amtsantritt in der Bild-Redaktion habe der Kanzler telefonisch gratuliert. Antrittsbesuch paradox.

Passiert, unterläuft dem Kanzler so etwas? Diekmann ist oft und öffentlich genug als Kohl-Zögling geziehen worden. Dass Schröder genau da einklinkt und dem jungen Blattmacher ein Selbstbewusstsein unterstellt, das Glückwünsche von minderen Chargen wie Sozikanzlern wie selbstverständlich entgegennimmt, könnte ein lausbübischer Streich Schröders sein. Wollen wir das mal für ihn hoffen.

Befürchtet werden aber muss, dass Schröder dafür zu clever ist. Folgende Übungsaufgabe für Sie daheim zum Mitmachen: Du hast ein Unthema, das keine Knackwurst interessiert. Sagenwirmal: Betriebsverfassungsgesetz. Oder ein Hammerthema, das niemand begreift. Präimplantationsdiagnostik. Oder eine Themenkombi aus keine Ahnung und Mir-doch-egal-Länderfinanzausgleich. Keine Sendung machen? Oder für die andere Seite: unpopuläres Thema vermeiden?

Na gut. Erklär esdeinen Mitschülern: „Wenn uns keiner opponiert, opponieren wir uns eben selber!“

Klar. Da wäre ein Nazi-Anschlag oder ein böses Tiere-Kinder-Thema transparenter. Siehe Vorjahr. Für einen zünftigen Streit aber reicht ein Unthema auch, wenn’s denn ordentlich polarisiert. Das Fernsehen, und darin unterscheidet es sich eben vom Parlament nun mal gar nicht, wirkt auf viele attraktiv, wenn es Radau gibt. Bleibt in der Nische, wenn das Niveau als einziges hoch hergeht. Also polarisieren! Heißt im Talkshowalltag: Oeckl, Kürschner und Promilexika durchpflügen, zuständige Oppositionspolitiker anrufen, dazuladen, und ab die Uschi. Dumme Sache aber, wenn die zuständige Opposition noch gar keine Meinung fertig hat. Für die Redaktion. Dumme Sache hingegen für die Regierung, gerät sie im Streit ins Hintertreffen.

Nun? Wie bitte? Höre ich Vorschläge? Aha, der Gerd. Immer der Gerd. Na gut. Erklär es deinen Mitschülern. „Wenn uns keiner opponiert, opponieren wir uns eben selber!“ Tja. Der Junge sollte eine Klasse überspringen. Wird er vermutlich bei der nächsten Wahl ja auch tun. Richtig: Das Betriebsverfassungsgesetz heißt Müller gegen Riester, die Fummelei am Erbgut Däubler gegen Bulmahn gegen Schmidt gegen Ethikräte, der Länderfinanzausgleich Clement gegen Runde gegen Schröder mit Schröder. Und das große Finale eines Streits um die richtige Regierungspolitik der SPD heißt : Macht die Christdemokratin Süssmuth oder der Christdemokrat Müller seine Hausaufgaben besser? Was wird Kanzler und Moderator Schröder für eine Note drunterschreiben?

Mal ab von der Frage, wozu die derzeitige Opposition eigentlich zu gebrauchen ist, sagt das professionelle Themen-Marketing aus dem Kanzleramt lieber gleich, dass es egal welche Opposition nicht braucht. Den Chefredakteuren der Opposition gelang mit der Benzinpreisdebatte letztes Jahr und mit der Fischer-Debatte danach gerade zweimal, ein Thema dagegenzusetzen; das ist zu wenig. Schröder dagegen, diesem Quereinsteiger aus der Politik, kann man jederzeit bedenkenlos eine politische Gesprächsrunde anvertrauen. Als Erstes würde er ins Redaktionsstatut schreiben, Langweiler und Hardcore-Differenzierer mit moralischer Ankerkette dürften nicht mehr in die Show kommen und alles zu Tode bedenken. Oder kürzer „Thierse-Verbot!“. Die Jungs kennen sich doch.

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