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Romy, Hanna, Heinz und Brigitte

„Der Filmstar“ von Stephen Lowry und Helmut Korte – ein Buch über die Osmose von Karriere, Klatsch und Image

Es ist zuweilen sehr entspannend, sich ein paar schöne Stunden mit den bunten Illustrierten zu machen und das Neueste über unsere Filmstars zu lesen. Wer mit wem, in welcher Stadt, in welchem Film, in welchem Kleid . . .

Den gegenteiligen Effekt erreicht offenbar, wer sich ernsthaft damit beschäftigt, warum einen diese Geschichten überhaupt interessieren. Diesen Eindruck jedenfalls vermittelt die Einleitung des jüngst erschienenen Buchs von Stephen Lowry und Helmut Korte. Es ist das Ergebnis ihres mehrjährigen Forschungsprojekts zum Thema „Filmstar“. Auf den ersten 25 Seiten könnte man glauben, es sei der Weg durch die Hölle gewesen, in der allein der Gebrauch von ellenlangen, substantivischen Reihungen die Autoren davor bewahren konnte, selbst im Sog der Klatsch- und Tratschgeschichten unterzugehen. Lowry und Korte haben nach einem komplizierten Auswahlverfahren sechs Stars als Prototypen des Phänomens ausfindig gemacht, denen je ein Kapitel gewidmet ist. Aber zum Glück ahnt man schon beim ersten über den „kleinen Mann“ Heinz Rühmann, dass sich die Sisyphusarbeit doch irgendwie gelohnt hat.

Die über 30 Jahre währende Karriere eines der beliebtesten deutschen Schauspieler wird entlang der erstaunlichen Fähigkeit Rühmanns nachgezeichnet, sich in drei politischen Systemen ganz oben auf der Beliebtheitsskala zu halten. Mit spärlichen, aber ausreichenden Informationen zur Biografie gelingt es den Autoren, Rühmanns Erfolg als Zusammenspiel seiner Filmrollen, seiner Geschlechtslosigkeit und seiner unverkennbar schnoddrigen Stimme zu begreifen: Der Scheinrebell und Ideal-Anpasser mit Großmachtfantasien entwickelte sich fast immer sychron zur Gesellschaft. „Rühmann [. . .] ist ein Beispiel dafür, dass auch Unscheinbarkeit, Nähe und Ähnlichkeit zum Publikum eine Starkarriere begründen können.“ Dass Stars gesellschaftliche Moden und soziologische Themen zum einen reflektieren, zum anderen als Trendsetter verkörpern und stilbildend auf die Leinwand bringen, ist inzwischen wohl ein Allgemeinplatz. Eine andere Sache ist es, diese schillernde und niemals gleiche Osmose im Einzelfall zu rekonstruieren. Erhellend ist in diesem Sinne vor allem der Kontrast unterschiedlicher Stars – und welcher könnte größer sein als der von Heinz Rühmann und Brigitte Bardot?

Die Andersartigkeit ihrer Karrieren macht die komplexe Verzahnung von Filmen und außerfilmischen Medien bewusst, aber auch die sich stets verändernden Gesetze ihrer Wahrnehmung. Bardot war als „St.-Tropez-Girl“ von Anfang an auch ein gekonnt vermarktetes Produkt ihres Ehemanns und Produzenten Roger Vadim. Ihr skandalumwittertes Privatleben hatte in ihrer Karriere eine Bedeutung, die die ihrer Filme fast übertraf, wobei Lowry und Korte interessanterweise darauf hinweisen, dass Bardots damals als so „natürlich“ rezipierte Sexualität auf heutige Zuschauer eher künstlich inszeniert wirkt. „[. . .] sie verbindet den stilisierten Gang einer Tänzerin und eines Mannequins mit einem überdeutlichen Po-Wackeln. Dennoch wurde er damals als natürlich wahrgenommen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass BB ihre betont ‚weibliche‘ Körpersprache mit nachlässigen, saloppen Bewegungen verbindet, die als ‚männlich‘ kodiert waren. Solche ‚aktiven‘ Elemente ihrer Bewegungen, Gesichtsausdrücke und Blicke kontrastieren mit der traditionellen Pin-up-Ästhetik und signalisieren Selbstsicherheit und Unabhängigkeit.“ Gerade der zeitliche Abstand ermöglicht im Fall von Bardot einen erhellenden Blick auf die Entstehungsgeschichte der emanzipierten Sexualität, die, um – lange vor 68 – in Schwung zu kommen, wohl zwangsläufig eine provozierende, verhasste und umschwärmte Schauspielerin als Galionsfigur brauchte.

Lowry und Korte widmen sich des Weiteren Romy Schneider, James Dean, Götz George und Hanna Schygulla. Es sind Beispiele für Karrieren, in denen es um gelungene und missglückte Befreiungen von einem durch erste Erfolge geprägten Star-Images geht, um die Loslösung von übermächtigen Elternschauspielern und um Kultfiguren, die sich sonderbar weit von Filmen entfernt haben. James Dean zum Beispiel ist heute eher ein Postkarten- und Posterstar, Romy Schneider wird in Deutschland immer noch als Magdas Tochter und unvergessene „Sissi“ verehrt, ihre Erfolge im europäischen Autorenkino gelten als Insiderwissen.

Lowry und Korte analysieren die Erfolgsgeschichten der einzelnen Stars mit unterschiedlichen Akzentuierungen, die sinnfällig hier Privates, da Produktionsverhältnisse, Geschichtliches oder Filmgeschichtliches in den Vordergrund stellen. Was die Lektüre des Buches mit unverkennbar akademischem Anspruch gleichwohl kurzweilig werden lässt, ist die erfrischende Gleichwertigkeit, mit der die umfangreiche Quellensammlung genutzt wird. Boulevardpresse und hehres Feuilleton werden ebenbürtig behandelt, und auch die „künstlerische“ Bedeutung der Filme tritt anstelle ihrer breitenwirksamen Relevanz in den Hintergrund. Dieses Verfahren befördert durchaus den Erkenntnisgewinn.

Je näher sich die Autoren jedoch der Gegenwart annähern, umso mehr verwischt diese Qualität und verwässert in enzyklopädischem Fleiß, insbesondere im Schlusskapitel über die neuen Stars von Katja Riemann bis Julia Roberts. Komischerweise begreift man im Kapitel über James Dean mehr über Til Schweiger als in den kurzen Passagen, die dem „frechen Frauenschwarm“ selbst gewidmet sind . . . „Der Filmstar“ ist ein Buch, das die kleine Filmbibliothek daheim durchaus schmückt, nicht nur weil es gewissermaßen eine Pionierarbeit darstellt. Wie jedes gute Filmbuch bekommt man bei Lektüre nämlich auch Lust, in die nächste wohl sortierte Videothek zu eilen – oder ins nächste Programmkino. DOROTHEE WENNER

Stephen Lowry, Helmut Korte: „Der Filmstar“. Metzler, Stuttgart, Weimar 2001, 304 Seiten, mit 133 Abb., 78 DM

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