„Es war die Lösung aller Probleme“

Wozu Zigarettenwerbung gut sein kann: 2raumwohnung verdanken ihre Existenz einem Reklamespot. Inga Humpe und Tommi Eckart über das Glücksversprechen von Techno, Deutsch als Popsprache und die Fehler der Neuen Deutschen Welle

Interview THOMAS WINKLER

taz: 2raumwohnung verdanken ihre Entstehung ja einem Zufall – der Auftrag einer Zigarettenfirma führte zur Gründung der Band. Als der Song unerwartet zum Hit wurde, habt ihr eine Single produziert, nun folgt ein Album. Müsstet ihr Cabinet nicht dankbar sein und denen das Geld zurückgeben?

Humpe: Die sollten uns lieber noch mal ein bisschen Geld zusätzlich geben.

Wie viel habt ihr denn überhaupt bekommen?

Humpe: Schon viel. Aber nun heißt die neue Cabinet-Kampagne wegen unseres Erfolgs „Neue Deutsche Welle“. Und dafür möchte ich auf meine alten Tage eigentlich nicht noch mal missbraucht werden.

Geht die Entscheidung, wieder auf Deutsch zu singen, nur auf diesen Auftrag zurück?

Humpe: Die Werbung war der Auslöser. Das war ein Spaß, nur ein Versuch. Aber dann fiel es mir irrsinnig leicht, den Text zu schreiben, obwohl ich ungefähr 15 Jahre lang keine deutschen Songtexte mehr geschrieben hatte. Als ich dann wieder englische Texte sang, habe ich gemerkt, dass ich mir selbst eher zuhöre, wenn ich Deutsch singe.

Frau Humpe, Sie hatten mit deutschsprachigem Pop bereits vor zwanzig Jahren großen Erfolg. Sehen Sie sich als Pionierin?

Humpe: Das hab ich schon manchmal gedacht. Wenn ich das eine oder andere Wort höre oder eine bestimmte Wendung, dann denke ich schon bei mir: Da hat wohl jemand meine alten Platten gehört.

Ist Deutsch heute als Popsprache etabliert? Oder kann es wieder zu so einem kommerziellen Overkill kommen wie mit der Neuen Deutschen Welle, die dem Publikum deutschen Pop auf Jahre verleidet hat?

Humpe: Die ganze NdW hat insgesamt ja nur zwei Jahre gedauert. Bei deutschem HipHop dauerte es zehn Jahre, bis er erfolgreich wurde. Deswegen wird das auch nicht so schnell wieder verschwinden. Außerdem sind die Musiker heutzutage besser informiert und abgesichert über Verträge, als wir es damals waren.

Ich wusste damals ja nicht mal, was ein Produzent ist, und hatte keine Ahnung, was in meinem Vertrag stand. Da gibt es jetzt ein ganz anderes Bewusstsein: Heute hat jeder seinen eigenen Anwalt. Damals gab es nur einen einzigen Musikanwalt in München, der sich mit der Materie auskannte.

Warum haben Sie nicht früher daran gedacht, wieder auf Deutsch zu singen – obwohl das als Popsprache doch spätestens seit der Hamburger Schule wieder rehabilitiert war?

Was mir als Erstes wieder richtig gut gefallen hat, war „Susanne zur Freiheit“ von Fishmob. Bis heute ist es mir unbegreiflich, warum das eigentlich kein Hit geworden ist. Ich habe auch Blumfeld gehört – deren „1.000 Tränen tief“ hat mich sogar zu einem Song inspiriert, der nun aber nicht auf dem Album drauf ist. Aber dieses Grüblerische, Gymnasiastische, das etwa die Sterne auszeichnet, das liegt mir nicht so. Und auch deutscher HipHop gefällt mir nur teilweise.

Sie haben das, was Sie zuletzt unter dem Namen Bamby an Musik für Techno-Clubs produziert haben, einmal Schlager genannt. Machen denn auch 2raumwohnung Schlager?

Humpe: Das war damals vor allem als Povokation gemeint – weil Schlager so ein belastetes Wort ist. Aber in meine Geschichte ist Schlager mit eingeschrieben, schließlich habe ich mit „Codo“ schon mal einen Schlager gesungen und war damit sehr erfolgreich. Aber wir haben schon darauf geachtet, dass in den Texten ab und zu mal ein Wort wie „LSD“ oder „Arsch“ vorkommt – daran merkt man, dass es kein Schlager ist.

Eckart: Schlager steht für einen konservativen Ansatz. Wir haben aber schon den Wunsch, etwas Innovatives zu machen.

Ihr habt euch lange Zeit in der Techno-Szene getummelt. War Techno für euch eine Wiederkehr eurer eigenen Jugend oder etwas ganz Neues?

Humpe: Für mich war es eine ganz neue Geschichte – am ehesten noch zu vergleichen mit Punk, weil es zuerst auch vollkommen abgelehnt wurde. Es gab ja nichts im Radio – man musste schon in bestimmte Clubs gehen, um Techno zu hören. Diese Energie, wenn etwas Neues entsteht, war einmalig.

Eckart: Als ich die ersten Acid-House-Sachen gehört habe, habe ich mich gefragt, wie solche Musik entstehen kann: Das mussten Leute sein, die vollkommen andere Gehirnschaltungen haben als ich. Das wurde für mich zu einer neuen Heimat.

Brachte Techno auch den Abschied vom Modell Band?

Humpe: Ich habe schon 1983 die Neonbabies verlassen und danach nie wieder eine Band gehabt. Stattdessen habe ich immer in verschiedenen Konstellationen gearbeitet – mal mit einem Menschen zusammen, mal mit zweien. Eine Band war immer zu viel Gerede, da war der kreative Prozess zu kompliziert. Man musste hierarchisch sein, und der Typ bin ich nicht. Man konnte ja nicht mal in Ruhe im Übungsraum an seinem Gitarrenpart tüfteln, weil sofort jemand reinkam und Schlagzeug draufspielte. Für mich war Musik am Computer zu machen die Lösung aller Probleme, absolut. Ich weiß nicht, ob ich sonst weitergemacht hätte.

Was wäre die Alternative gewesen?

Ich bin ja eigentlich gelernte Schauspielerin.

Aber in dem Beruf haben Sie nie gearbeitet, oder?

Nein, und er ist auch nichts für mich: Da kann man ja noch weniger selbstständig arbeiten, sich noch weniger einbringen als in der Musik.

Das CD-Booklet zeigt Fotos aus einer Durchschnittswohnung, die jeden Song mit dem Alltag verknüpfen. Im letzten Bild werdet ihr selbst Teil dieser Inszenierung des Alltags.

Eckart: Zuerst wollten wir Bilder aus unserem eigenen Fotokarton nehmen – so wie wir auch Musik machen, die wir uns selber als Zuhörer wünschen würden. Das Cover sollte normales Leben zeigen – nicht uns im Porsche.

So ein Alltagsimage ist aber auch ein Image. Oft werdet ihr in Interviews vor allem zu eurer Beziehung befragt . . .

Humpe: Natürlich wäre auch ich am liebsten Bob Dylan und würde gar keine Interviews geben. Aber was jetzt passiert, ist für mich komplett neu: Das gab es früher gar nicht. So durchgeplant und kontrolliert mit den Medien umzugehen, damit bin ich absolut unerfahren.

„Kommt zusammen“, der Titelsong eures Albums, sollte ursprünglich einmal „Batik-Boogie“ heißen. Habt ihr die Ironie zugunsten einer Beatles-Reminiszenz aufgegeben?

Humpe: Das ganze Album ist weder ironisch noch zynisch gemeint.

Eckart: Dass es sich dabei um ein Beatles-Zitat handelt, ist nicht entscheidend. Wir haben einfach mal englische Textzeilen übersetzt. Manche haben gut funktioniert, andere nicht.

„Kommt zusammen“ ist hängen geblieben, weil es auch in Deutsch funktioniert und weil wir die Worte auch so meinten. Das war eine Idee, eine Ideologie. Die kann man auf Berlin bezogen verstehen, aber auch politisch, freundschaftlich, sexuell.

Wie sieht diese Ideologie aus?

Eckart: Ganz einfach: An das eigene Leben positiv heranzugehen – mit der Vorstellung, dass ein Zusammenleben, im Kleinen wie im Großen, mit einer Toleranz besser ist.

Humpe: Und auch machbar ist.

Kann Musik das erreichen?

Humpe: Die Frage ist, ob man das auch will – glücklich sein.

Kann denn Musik glücklich machen?

Humpe: Ich glaube, Musik kann glücklich machen. Aber es gibt ja auch Leute, die hören Musik, um traurig zu sein. Das ist auch ein schönes Erlebnis – das Leiden eines anderen zu teilen, sich im Leiden des anderen wieder zu finden.

Unsere Platte ist aber eher zum Frohsein: für den leichten Moment. Für den Momemt, wo die Sonne da ist. Es gab sogar zwei Stücke, die rausgeflogen sind, weil sie zu düster waren.

Evoziert Musik nicht auch Gefühle, statt sie bloß zu illustrieren?

Humpe: Es ist beides möglich. Letztendlich hängt es aber von der eigenen Verfassung ab.

Oder von den Drogen . . .

Eckart: Der Unterschied zwischen Drogen und Musik ist: Bei einem Glas Bier oder einem Joint ist der Mensch, der dahinter steht, egal. Musik aber hat ein Mensch gemacht, den du erkennen kannst, mit dem du dich auseinander setzen kannst.

Humpe: Es geht um Inspiration: Was regt dich an, deinen Weg zu verlassen oder auch ihn weiter zu verfolgen. Um diesen Austausch geht es. Denn wenn man eine CD auflegt, dann ist das ja eine Begegnung mit denen, die sie gemacht haben.

Versuchen 2raumwohnung, die Glücksideologie des Techno in den Gitarrenpop zu übersetzen?

Humpe: Wir sind mit 2raumwohnung nicht so nah dran an der Rave-Bewegung, aber es kommen sicher Elemente davon vor – etwa der Positivismus jener Zeit. Man kann es aber genauso gut als Gegensatz zu den 80ern betrachten, wo es um Abgrenzung ging.

Eckart: Der Wunsch nach Glück ist sicher eine Idee aus den 90ern und findet sich auf dieser Platte schon wieder. Aber viele Techno-Tracks klingen auch eher düster.

Die Love Parade ist nur noch ein riesiges Straßenfest. Was ist vom Glücksversprechen von Techno geblieben?

Eckart: Das Bedürfnis ist auf jeden Fall da, sogar bei den Techno-Leuten. Als der Tresor den 10. Jahrestag seines Bestehens feierte, liefen in der Lounge oben Pop-Songs . . .

Humpe: Worte, die man versteht!

Eckart: In den 80ern wurden mit der Elektronik die Melodien gemacht, in den 90ern die Rhythmen. Jetzt ist vielleicht der Moment, wo beides miteinander verbunden wird.

Humpe: Ich habe das Gefühl: Es liegt in der Luft, dass Melodie und Clubsound, also 80er und 90er, zusammenkommen. Und wir haben diese beiden Elemente zusammengebracht.

Musste das in Berlin stattfinden?

Humpe: (lachend) Das kann nur in Berlin stattfinden.