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Unspektakulär endlich aus

Kein „Phantom der Oper“ mehr in Hamburg. Schade  ■ Von Gaston Kirsche

Bullaugenimitate als Fenster, ein schräg hochstehendes Vordach aus Stahl und viel pissgelber Klinker – seit elf Jahren steht am S-Bahnhof Holstenstraße unübersehbar die Neue Flora. Form und Inhalt harmonieren prächtig: Von außen der bei Hamburger Neubauten der 90er Jahre standardmäßige pseudomaritime Stil, drinnen Kultur als Fließbandbetrieb. Am Eingang die Ankündigung: „Nur noch bis 30.6.: Das Phantom der Oper.“ Über sieben Millionen BesucherInnen haben das Musical seit 1990 gesehen.

Dabei waren die Anfänge alles andere als friedlich oder gar fröhlich verlaufen: Im Juni 1990 fanden die „Phantomenalen antikapitalis-tischen Aktionstage“ in Hamburg statt – unter anderem eingedenk dessen, dass Fritz Kurz das Musical ursprünglich am Schulterblatt hatte inszenieren wollen – aus den Protesten gegen die dadurch befürchtete Umstrukturierung des Schanzenviertels entwickelte sich die Besetzung der seitdem Roten Flora. Im September 1988 zog Fritz Kurz sich wegen der Proteste vom Schulterblatt zurück und bat die Stadt um einen anderen Standort. Der Senat wurde 800 Meter entfernt fündig: Am S-Bahnhof Holstenstraße. Der Rotflorist Andreas Blechschmidt bemerkte in dem Buch Umkämpfte Räume 1998 im Rückblick: „... rief dieser Standort keine Mobilisierung hervor – auch weil „Aus den Augen, aus dem Sinn“ bei der Intensität des Widerstands eine Rolle gespielt hat“.

Aber gerade hierdurch wurde die Premiere des Phantom ein denkwürdiges Ereignis: Die Polizeiführung rechnete nicht mehr mit spektakulären Protesten – und wurde überrascht. Zwar waren am 29. Juni 1990 rund 3800 PolizistInnen und BGSlerInnen im besonderen Einsatz, aber hauptsächlich zum Schutz einer parallel stattfindenden Tagung. So konnten sich direkt vor dem Portal der Neuen Flora Hunderte Protestierende sammeln. Und spätestens am Eingang kamen prominente PremierenbesucherInnen mit dem Protest in direkten Kontakt. Die Reaktion der Polizei: Einsatz von Wasserwerfern und Knüppeln zwecks Räumung des Areals. Nicht verhindert werden konnten aber die Unmutsäußerungen in den Seitenstraßen.

Viele AnwohnerInnen beteiligten sich dort daran, den Premierengästen auf dem Weg zum Phantom die Vorfreude zu trüben. Am nächsten Tag klagte Bild: „Autos verglühten, Wasserwerfer leer – Polizei verlor Schlacht.“ Der GAL-Abgeordnete Manfred Mahr jammerte über die „Eskalation der Gewalt“. Im sonst so anonymen, von großen Straßen dominierten Stadtteil Altona-Nord ergab sich an diesem Tag eine nette Gemeinsamkeit auf den Straßen. Für den Senat ist Altona-Nord seitdem umso mehr ein „sozialer Brennpunkt“.

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