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Die „Raperos“ von La Habana

Zum siebten Mal findet vom 16. bis 19. August das Festival des kubanischen Rap in Alamar statt. Rund 40 Gruppen aus Havanna und der Provinz treten dort auf. Zum nationalen Rap-Festival letztes Jahr kamen Repräsentanten des US-Polit-Raps

„Wozu braucht ihr Markenartikel?“ Auch die Kulturfunktionäre der „Vereinigung junger Künstler Kubas“ haben sich der „Raperos“ mit einem Auftrag angenommen.

von ANNA SCHRADEund JONATHAN FISCHER

„Calle g“, Ecke „La Rampa“: In den Abgaswolken der Hauptverkehrsader wartet eine Gruppe junger Leute in der schwülen Abendhitze. Wann der Bus genau kommt, weiß keiner. Heute Nacht findet das nationale „festival de rap cubano“ in Alamar, einer Hochhaussiedlung ein paar Kilometer östlich von Havanna, statt. Plakate, die das Festival ankündigen, das in diesem August zum sechsten Mal stattfindet, sind nirgends zu sehen. Trotzdem wissen die Eingeweihten in Havannas HipHop-Szene von einem angeblichen Festivaltransport. 10 Pesos für die Fahrt mit einem Sammeltaxi kann sich hier keiner leisten. Doch der guagua lässt auf sich warten, und die Rumflasche wird weitergereicht. Die Mitglieder von „Junior Clan“ geben ihren neuesten Raps zum Besten: „La ciudad está respirando“ – „Die Stadt atmet“. Und schon rappen sie los in ihren ungeschnürten Sneakers und cool um den Kopf geschlungenen Piratentüchern.

„Unsere Straßen sind verschmutzt, durch Müll und durch den Bauschutt der eingestürzten Häuser. Aber sie sind auch verpestet durch Leute, die unsere Kunst kritisieren, durch Drogen, die jeder totschweigt, und durch die Polizei, die immer uns Schwarze kontrolliert“, ergreift Piti das Wort. Die anderen Clanmitglieder bestätigen ihn lautstark. Sie nennen sich „Underground“, weil sie von dem sprechen, was wirklich passiert. Sie imitieren nicht einfach den HipHop aus den USA, auch wenn es ihnen Offizielle oft vorwerfen. US-Rapper kennen die meisten hier in Kuba ohnehin nur durch Videos, CDs und Magazine, die ihnen Bekannte aus dem Ausland mitgebracht haben.

Für die Wartenden ist ein besonderer Tag. Denn die Sensation des Festivals ist ein Blockadebrecher aus dem ideologischen Feindesland: Dead Prez. Seit nunmehr drei Jahren kooperiert die Grupo Uno, das Rap-Projekt der kommunistischen Jugend Kubas, mit ehemaligen Black-Panther-Aktivisten im kubanischen Exil. Seither werden zum nationalen Rap-Festival auch Musiker aus den USA eingeladen – Repräsentanten des US-Polit-Raps. In den letzten Jahren waren Common, Black Star und MosDef die Gaststars. Heute kommen die New Yorker Polit-Aktivisten Dead Prez.

„Sie machen Musik, die dazu beiträgt, dass etwas besser wird“, meint Piti begeistert. „Darauf kommt es an. Wer mit Goldketten behängt über dicke Autos, über Nutten und Pistolen textet, hat mit uns nichts zu tun. Wer hat hier schon ein Auto? Das Fahrrad ist unsere Realität oder eben . . . auf den Bus zu warten!“

Als der guagua nach Stunden des Wartens endlich kommt, ist er schon randvoll. Wir können uns nur noch mit Mühe zwischen die schwitzenden Körper drücken. Aus einem Gettoblaster dröhnt „Compay Segundos Chan Chan“ in der Rap-Version der Orishas, als wir im Abendlicht endlich Richtung „Habana del Este“ knattern.

Alamar. Eine Hochhaussiedlung ein paar Kilometer östlich von Havanna. Der Putz blättert von den Betonsilos, streunende Hunde wühlen im Müll zwischen Königspalmen und Bananenstauden. Aus dem anfiteatro am Rande der Siedlung wummern die Bässe den Besuchern schon von weitem entgegen. Eine Traube Jugendlicher versperrt den Eingang der bis vor einigen Jahren noch ungenutzt vor sich hin rottenden Freilichtbühne. 5 Pesos, etwa 50 Pfennig, kostet der Eintritt. An den Eingängen kontrollieren Polizisten die Taschen. Auch im Innern der Freilichtbühne wimmelt es von Uniformierten. Sicherheitsvorkehrungen, so erklärt man uns später, die der Anwesenheit von Assata Shakur, Nehanda Abiodun und anderen aus den USA Exilierten gelten, ehemaligen Black-Panther-Aktivisten, die in Kuba Zuflucht vor den US-amerikanischen Strafverfolgungsbehörden gefunden haben. Zwischen 3.000 und 5.000 Besucher aus Havanna und Umgebung werden an den kommenden vier Abenden erwartet. Die Zahl der kubanischen Jugendlichen, die Rap als ihre Sprache gewählt haben, ist mit Sicherheit größer. Auch das näher an Havanna gelegene Panamerika-Stadion, über dem heroisch das Porträt des comandante schwebt, ließe sich wohl füllen. Aber das „Transportproblem“ und fehlende Mittel für nahezu alles, was ein Festival ausmacht, sind eben auch eine Möglichkeit, die HipHop-Bewegung in Kuba klein zu halten.

Alamar platzt heute aus allen Nähten. Wer auf den Betonstufen keinen Platz mehr findet, drängt sich auf der das Amphitheater umfassenden Mauer. Die Stimmung ist euphorisch, obwohl ein Bus mit Rappern aus Centro Habana schon seit zwei Stunden vergeblich erwartet wird. „Maní, maní!“, schreien die Erdnussverkäufer. An einem improvisierten Verkaufsstand wird Rum ausgeschenkt, 20 Pfennig der Becher. Hinter dem als Bühne dienenden Betonsockel weht eine überdimensionale kubanische Flagge. Die bunten Scheinwerfer, die Plattenspieler und die Boxen hat „Black August“ – so nennt sich die US-amerikanisch-kubanische Kooperation – extra für das Festival aus den USA einfliegen lassen. Das sind die Zutaten für eine Mission, die ihren Auftrag auf Malcolm X und die Black Panthers zurückführt. „Mit unserer Organisation Black August greifen wir eine Tradition aus den 70er-Jahren wieder auf“, erklärt uns Nehanda Abiodoun, die wie insgesamt 90 Mitstreiter seit fast 20 Jahren im kubanischen Exil lebt. Nach dem Tod von George Jackson in einem amerikanischen Gefängnis beschlossen damals einige seiner Mitgefangenen, die ermordeten Freiheitskämpfer jeweils im Monat August zu ehren, indem sie Veranstaltungen organisierten und ihr Leben von neuem auf den Kampf ausrichteten. „Vor drei Jahren übernahmen wir diese Idee für eine US-amerikanisch-kubanische Kooperation. Einerseits wollten wir den politischen Gefangenen in den USA Gehör verschaffen. Auf der anderen Seite propagieren wir ein Ende der US-Blockade gegen Kuba und unterstützen die lokalen Rapper mit dringend benötigter Ausrüstung“, erklärt Nehanda. Man merkt ihr jahrzehntelange rhetorische Schulung an. Kurze Denkpause, dann diktiert sie druckreife Statements in den Rekorder: „Wir nutzen HipHop als ein politisches Vehikel, um junge Menschen nicht nur in den USA, sondern auf der ganzen Welt zu erreichen.“

Rap als politisches Vehikel im Kampf um eine gerechtere Gesellschaft und weltweite black consciousness? Oder geht es um die heute gefährdeten Ideale der kubanischen Revolution? Auf jeden Fall haben auch die Kulturfunktionäre der „Vereinigung junger Künstler Kubas“ sich der „Raperos“ mit einem Auftrag angenommen. Als Rudolfo Rensoli, Begründer der Grupo Uno und Initiator des Festivals, auf die Bühne kommt, trägt er zur Eröffnung einen selbst verfassten Rap vor, der mit moralischen Imperativen nicht spart: „A qué te vale tener ropa de marca?“ – Wozu braucht ihr Markenklamotten, wenn sie euch und eure Freunde nicht glücklich machen? Höflicher Applaus.

Plötzlich ein Aufschrei. Es kommt Bewegung in die Menge. Reyes de las Calles, die „Könige der Gassen“, betreten die Bühne im Boxeroutfit – Shorts, Bademäntel und Boxhandschuhe. Es ist schließlich nicht leicht, sich als Rapper durchzuschlagen.

Doch heute haben sie ein Heimspiel. Jeder kennt den Text, alle singen mit. Reyes de las Calles haben das Lied der Karnevalskomparsen, „Qué la vida es un carnaval“, umgedichtet und zu einer sarkastischen Posse über eine jinetera, eine Gelegenheitsprostituierte, gemacht. „Die kubanischen Kids haben angefangen, durch Rap ihre Unzufriedenheit mit bestimmten Zuständen ihrer Gesellschaft auszudrücken“, meint Nehanda, während sie neben der Bühne letzte Anweisungen für den kurz bevorstehenden Auftritt von Dead Prez gibt.

Sobald M-1 und Sticman, die beiden Dead-Prez-Rapper, auf die Bühne springen, kommt zum ersten Mal der Plattenspieler zum Einsatz. Zur grenzenlosen Begeisterung der kubanischen Zuschauer legt der Mann nicht einfach Platten auf, sondern lässt die Nadel rhythmisch über die Rillen rutschen – chrrr, chrrr, tschakatschaka . . . „Wir nennen uns Dead Prez“, skandieren die US-Amerikaner, „weil unsere erste Botschaft lautet: Macht den Präsidenten kalt, macht alle kalt, die uns ausbeuten und zu Opfern machen . . .“ Dazu hüpfen Diaprojektionen von prügelnden weißen Polizisten, afrikanischen Kindern und Revolutionären wie Malcolm X und Assata Shakur über die Bühnenwand. „All ihr Kämpfer, reckt eure Fäuste in die Luft . . .!“ Ein Meer von Armen geht nach oben. Schwarze Fäuste überall.

Ob die Exilanten aus den USA und die kubanischen HipHop-Begeisterten wirklich demselben Feind drohen? Black August jedenfalls wird nächstes Jahr nach Brasilien fahren. Auch dort gilt es, eine große HipHop-Gemeinde auf den „richtigen Weg“ zu bringen.

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