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Die Mutter, die ihres Sohnes Tante ist

In Frankreich sorgt eine 62-Jährige, die ein Kind zur Welt gebracht hat, für rege Diskussionen um Moral und Ethik

PARIS taz ■ Einen Monat nach seiner Geburt schmückt Benoît-David die Titelseite des französischen Hochglanzmagazins Paris Match. Auf dem Bild ist eine Frau zu sehen, die den Säugling küsst: Sie ist seine Mutter, seine Tante und seine Käuferin. Seit einer Woche ist sie auch Gegenstand von Ermittlungen.

Bis zum 14. Mai war Jeanine Salomone eine Unbekannte. Eine 62-jährige verrentete Lehrerin, die zusammen mit ihrer 80-jährigen Mutter und ihrem 52-jährigen Bruder, der sich bei einem Selbstmordversuch einen großen Teil des Gesichtes zerschossen hat, in dem südfranzösischen Städtchen Draguignan lebte. Nur enge Freunde wussten, dass sie seit Jahrzehnten von dem Wunsch besessen war, ein Kind zu kriegen. Eines, dem sie ihren Namen, ihr lebenslänglich Angespartes und möglichst viele familiäre Gene vererben könnte, wie sie im Interview erklärte.

Seit die Rentnerin in einer Klinik in Südfrankreich ihren Sohn geboren hat, der ihr in den USA eingepflanzt wurde, ist sie landesweit bekannt. Es war das erste Mal, dass eine Frau im Großmutteralter in Frankreich ein Baby zur Welt brachte. Wenige Tage später enthüllte sie, die Spermien stammten von ihrem Bruder. Es gebe auch noch eine Schwester des Babys: die eine Woche später in Kalifornien von einer Leihmutter zur Welt gebrachte Marie-Cécile, die jetzt ebenfalls in der Familie Salomone lebt.

Seither debattiert Frankreich aufgeregt über die Oma-Mütter. Die Ärzte, die die Geburt in der Klinik von Fréjus einleiteten, zeigen sich machtlos. „Wenn eine hochschwangere Frau zu uns kommt, müssen wir sie entbinden“, erklärt ein Gynäkologe, „auch wenn das Zustandekommen einer derartigen Schwangerschaft gegen geltendes französisches Gesetz verstößt.“ Seit vergangener Woche befassen sich jetzt auch Richter mit dem Fall. Sie prüfen in erster Linie, ob Gefahr für die leibliche und seelische Gesundheit der beiden Babys besteht. Sollten sie diese Frage bejahen, könnte Jeanine Salomone, die mehr als umgerechnet 150.000 Mark für ihre Beschaffung bezahlt hat, das Sorgerecht entzogen werden.

In getrennten Verfahren versucht die Justiz zu klären, welche Nationalität die Babys haben und wer ihre Eltern sind. Das dritte Verfahren ist das kniffligste: Darin geht es um das französische Bioethikgesetz von 1994, wonach Frauen nur bis zu den Wechseljahren und nur wenn sie seit mindestens zwei Jahren in einer eheähnlichen Beziehung leben, künstlich befruchtet werden dürfen.

Im Paris Match dieser Woche geht Jeanine Salomone in die Gegenoffensive. Nachdem die Oma-Mutter in den ersten Tagen nach der Geburt Journalisten mit dem Wort „merde“, Scheiße, wegzuschreien versuchte, zeigt sie sich nun als liebevolle Mutter, preist ihre altersuntypische Kraft und Gesundheit und beschreibt ihre Odyssee, die sie von dem römischen Babymacher Dr. Severino Antinori über Kanada bis zum „Fertility Center“ in Los Angeles geführt hatte, wo ihr Wunsch erfüllt wurde. Sie rechtfertigt auch, dass sie dem US-amerikanischen Dr. Vicken Sahakian vormachte, sie sei mit ihrem Bruder verheiratet: „Es war unsere letzte Chance.“

Sahakian seinerseits darf sich jetzt über Gratiswerbung für seine Arbeit freuen, wie es sie in Frankreich nie zuvor gegeben hat. Der Arzt, der auf Frauen mit unerfüllten Kinderwünschen spezialisiert ist, kritisiert jetzt die „Heuchelei in Frankreich“. In zehn Jahren, so Sahakian, „wird es banal sein, dass Frauen mit 60 schwanger sind“.

Einige der komplizierten Fragen, die Sohn Benoît-David später einmal beschäftigen düften, hat die französische Zeitung Le Monde so zusammengefasst: „Meine Mutter hat das Kind meines Onkels ausgetragen, mein Onkel ist mein Vater und meine Schwester, die eine Woche nach mir zur Welt kam, ist nicht die Tochter meiner Mutter. Wer bin ich?“

Für seine „Mutter“ ist das alles kein Problem. Sie will ihm und Marie-Cécile später sagen: „Es gibt nichts Natürlicheres, als Kinder zu kriegen.“ Sie glaubt, dass damit alle Fragen beantwortet sein werden. DOROTHEA HAHN

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