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„Verfassungsrechtlich problematisch“

Der vom Abgeordnetenhaus beschlossene Wegfall des Widerspruchsrechtes für Ausländer gegen Behördenentscheide stößt auf heftige Kritik bei Anwälten und Richtern. Grüne wollen über Rücknahme erst nach Neuwahlen verhandeln

Mitten im Trubel um die Bankaffäre hat das Abgeordnetenhaus Ende Mai fast unbemerkt beschlossen, dass Ausländer gegen die Versagung von Aufenthaltstiteln und gegen Ausweisungen keinen Widerspruch mehr einlegen dürfen. Nun regt sich Widerstand. „Das Gesetz hätte das Landesparlament gar nicht erlassen dürfen. Es hat damit in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes eingegriffen“, kritisiert Rechtsanwalt Andreas Günzler vom Republikanischen Anwaltsverein. Er fordert daher die Rücknahme des Gesetzesnovelle.

In der Ausländerbehörde, so hieß es in der Beschlussvorlage des alten Senates zu diesem Gesetz, könnten mit dem Wegfall des Widerspruchsrechtes 2,5 Personalstellen und damit pro Jahr 200.000 Mark eingespart werden. Allerdings führt das Gesetz zu mehr Klagen vor den ohnehin überlasteten Verwaltungsgerichten, weil Einwände gegen Behördenbescheide jetzt sofort vor Gericht geprüft werden müssen.

Das Gesetz war gegen die Stimmen von PDS und Grünen angenommen worden. Auch einzelne SPD-Parlamentarier hatten öffentlich Probleme geäußert, weil, so der Innenpolitiker Hans-Georg Lorenz, „eine Stadt, die sich anschickt, eine europäische Metropole zu werden“, nicht Ausländern „das rechtliche Verfahren verkürzen“ sollte. Seine Fraktion hatte das Gesetz dennoch mitgetragen.

Falls das Parlament das Gesetz nicht zurücknimmt, käme dem Republikanischen Anwaltsverein zufolge eine Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht infrage. Solche Prüfungen kann das Berliner Verwaltungsgericht veranlassen. „Das werden wir auch tun, sofern das Landesparlament das Gesetz nicht umgehend wieder aufhebt“, erklärt dessen Vorsitzender Richter Percy MacLean. „Das Gesetz ist rechtspolitisch unsinnig, weil unklar und ineffektiv, ferner verfassungsrechtlich hochproblematisch und wird zudem zu einer zusätzlichen Verstopfung des Verwaltungsgerichts führen.“

Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Parlamentes verneint hingegen die verfassungsrechtlichen Bedenken. Doch Rechtsanwalt Günzler betont: „Die Argumentation in diesem Gutachten ist nicht überzeugend.“

Hartwig Berger (Grüne) gibt zu bedenken, dass das Parlament bis zu den Neuwahlen im Herbst kaum ein Gesetz zurücknehmen kann. Seine Partei werde die Gesetzesrücknahme zu Beginn der nächsten Legislaturperiode auf die Tagesordnung setzen. „Wir heben dabei weniger auf juristische Fragen ab, sondern wollen uns politisch dagegen wenden, Ausländern demokratische Rechte zu nehmen“, ergänzt Bergers Parteifreund Bernhard Weinschütz. Auch der neue Justizsenator Wolfgang Wieland (Grüne), der als Oppositionsführer gegen das Gesetz plädiert hatte, will dessen Rücknahme in die Koalitionsverhandlungen nach den Neuwahlen einbringen.

In Bayern gilt seit gut einem Jahr ein ähnliches Gesetz. Dem Münchener Rechtsanwalt und Ausländerrechtsexperten Hubert Heinhold zufolge ist bisher noch kein Vorlagebeschluss dagegen beim Verfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt worden. Heinhold geht davon aus, dass die Rücknahme von Widersprüchen gegen Entscheidungen der Ausländerbehörde den Freistaat zusätzliches Geld kostet, statt welches zu sparen. „Bei Kleinigkeiten, die ich zuvor durch einen Anruf bei der Ausländerbehörde klären konnte, muss ich jetzt sofort eine Klage einreichen, damit die Frist nicht verstreicht.“ Das erhöhe die Gerichtskosten und verhärte die Fronten zwischen Ausländerbehörde sowie Anwälten und deren ausländischen Mandanten, „sodass einvernehmliche Lösungen immer seltener und Klagen immer häufiger werden.“ MARINA MAI

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