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Erschossen und dann geköpft

Die Ermordung eines prominenten Politikers und Großgrundbesitzers im östlichen Zentralnigeria hat einen Bürgerkrieg ausgelöst. Hunderte wurden getötet, Zehntausende vertrieben. Niemand scheint die Spirale der Gewalt stoppen zu können

von DOMINIC JOHNSON

Der blaue Peugeot war leicht zu erkennen, als er am Morgen des 12. Juni die Straße von Azara nach Lafia entlangfuhr. Die Jugendlichen, die es auf den Dienstwagen von Musa Ibrahim abgesehen hatte, machte kurzen Prozess: Sie durchlöcherte das Auto mit Kugeln, bis alle tot waren; dann nahmen sie Musa Ibrahims Leiche heraus, weideten sie aus und schnitten ihr den Kopf ab.

So endete die Karriere des Sonderberaters des Gouverneurs der nigerianischen Provinz Nasarawa, zugleich traditioneller Führer des Azara-Stamms und einer der größten Landbesitzer der Region. Seine Mörder: Angehörige des Tiv-Volks, sechstgrößte Ethnie Nigerias und im östlichen Zentralnigeria Rivale der nordnigerianischen Haussa, zu denen Musa Ibrahim gehörte.

Der Mord war Auftakt für Nigerias blutigsten ethnischen Konflikt in diesem Jahr. Mindestens 300 Menschen starben, mindestens 50.000 wurden in die Flucht getrieben. Zuerst jagten Haussa-Milizen in der Provinzhauptstadt Lafia und Umgebung Tiv-Bewohner. „Von Haus zu Haus gehen und einen Tiv umbringen“, beschrieb das Wochenblatt Tempo das von zahlreichen Gräueln begleitete pogromartige Geschehen. Die Tiv der Region traten zu Zehntausenden die Flucht an und strömten in Nasarawas östliche Nachbarprovinz Benue, wo sie die Mehrheit stellen. Bis Mitte vergangener Woche zählte die Provinzverwaltung 35.000 Flüchtlinge, das Rote Kreuz sprach am Wochenende von 50.000.

Doch die Tiv schlugen zurück. Allein im Dorf Tudun Adabu fanden die Behörden 58 Leichen, nachdem Tiv-Milizen am 26. Juni letzter Woche durchgezogen und systematisch Bewohner abgeschlachtet hatten. „Manche waren meine Schüler“, berichtete Dorflehrer Ibrahim Anzaku gegenüber Journalisten. „Als Erstes töteten sie den Dorfchef. Dann jagten sie Prominente und Kinder.“ Und die Spirale dreht sich weiter: Seit Ende letzter Woche kursieren Flugblätter, in denen eine „Tiv Youths Vanguard“ die Angehörigen anderer Ethnien zum Verlassen der Gegend auffordert.

Die Tiv waren in den 30er-Jahren das letzte nigerianische Volk, das sich der britischen Herrschaft unterwarf. Aus Nigerias staatlichen Institutionen wurden sie weitgehend herausgehalten, so dass Landkonflikte vor Gericht meist zu ihren Ungunsten geregelt wurden. Wenn Tiv-Armeen ihrer Meinung nach unrechtmäßig enteignetes Land mit Gewalt zurückerobern wollten, standen sie als Kriegstreiber da. 1990–92 starben Tausende bei einem solchen Konflikt zwischen den Tiv und dem Jukun-Volk im Bundesstaat Taraba.

Seit Nigerias Demokratisierung 1999 konnten die Tiv ihre politische Position stärken und viele Posten in Verwaltung und Polizei der von ihnen besiedelten Bundesstaaten besetzen. Vizepräsident Atiku Abubakar, obwohl Nordnigerianer, wurde am 20. Mai 2001 der oberste Tiv-Ehrentitel „Zege Mule Utiv“ verliehen. Er versprach, er werde „die Interessen der Tiv-Nation“ verteidigen, und sagte: „Ab jetzt ist euer Kampf der meine.“

Anderen Ethnien im östlichen Zentralnigeria, die meist der Haussa-Gruppe angehören oder mit ihr verbündet sind, beobachteten diese Entwicklungen mit Argwohn. Der Mord an Musa Ibrahim, von Tiv-Politikern als größter Landräuber der Gegend betrachtet, hat Tiv-Gegner darin bestärkt, dass es jetzt Zeit sei, das aufmüpfige Kriegervolk in die Schranken zu weisen. In den ländlichen Regionen des östlichen Zentralnigeria, wo der Staat kaum präsent ist, kann so ein Konflikt bürgerkriegsähnliche Ausmaße annehmen. Es gibt dort zwar viele traditionelle Autoritäten auf ethnischer Grundlage, die Milizen organisieren können, aber keine neutrale staatliche Institution, die Bürger davon abhalten könnte, das Gesetz in die Hand zu nehmen.

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