: Nicht machtlos
Nationalstaaten können Konzerne kontrollieren. Zwei spannende Bücher zum grassierenden Fusionsfieber
„Konzerne sind vaterlandslose Gesellen“, schimpfen im Kanon linke und rechte Geisteswissenschaftler. Wo die Bindung zur Heimat fehlt, seien Fusionsfieber und Globalisierung unaufhaltsam. Machtlos ist jedenfalls das EU-Kartellrecht. Politiker begründen ihre dauernde Duldung der Fusionitis mit der Machtlosigkeit von Nationalstaat und europäischer Gemeinschaft. Zu Unrecht, behauptet Winfried Wolf.
Der Sozialwissenschaftler und PDS-MdB spricht in seinem spannenden Report den Verzagten Mut zu. Die Fusionsriesen seien keine staatenlosen Konzerne und die Konzentration des Kapitals sei kein anonym ablaufender Prozess. Er erkennt sogar eine „Stärkung des Nationalstaates“ gegenüber den Unternehmen. Die 200 entscheidenden Weltkonzerne hängen an starken nationalen Wurzeln. Wolf gelingt eine beeindruckende empirische Bestätigung: Der freie Chefsessel im englischen Konzern wird durch einen Engländer besetzt, der deutsche „Multi“ produziert vor allem hier und Fusionen finden innerhalb des Mutterlandes statt. Konzerne sind nicht staatenlos, sondern sie besitzen eine Nationalität und bleiben dadurch für die Politik erreichbar.
Wer die Auseinandersetzungen innerhalb der Welthandelsorganisation WTO kennt, wird Wolf zustimmen: Vom Bananenstreit bis zum Verbot europäischer Investmentfonds in den USA werden „nationale“ politische Gefechte für „nationale“ Konzerne gefochten. Daher ist die Angst der Politik, sie büße durch die Globalisierung ihren Spielraum ein, unbegründet.
Der Linke Wolf erfährt von rechten Kapitalismuskritikern Hilfe. Beide halten nämlich – im Gegensatz zu den an den Hochschulen dominierenden Laisser-faire-Ökonomen, Pragmatismuspolitikern und Vorstandsstrategen wie Jürgen Schrempp – das Fusionsfieber für doppelt ungesund. So befürchten die Wirtschaftswissenschaftler der ordoliberalen Schule in ihrem theoretisch anregenden 51. Jahrbuch, dass geballte Konzernmacht „die arbeitsteilige Wirtschaft und die Freiheit“ gefährde. Hans Otto Lenel sieht dringenden Handlungsbedarf, damit wir nicht in einer „neuen Feudalgesellschaft“ enden. Die Liberalen wollen nicht jeglichen Zusammenschluss verhindern, aber die Politik müsse Megafusionen verbieten, die „eine wesentliche Beeinträchtigung der Wettbewerbsbedingungen“ bringen. Die Ordoliberalen zielen mit ihrer Forderung auf die Regierung Schröder und das deutsche Recht, denn „marktfreundliche Regeln sind meist auf nationaler Ebene eingeführt worden“.
HERMANNUS PFEIFFER
Winfried Wolf: „Fusionsfieber“, 290 S., Papyrossa, Köln 2000, 28 DM (14,32 €)ORDO, Bd. 51, 594 S., Lucius & Lucius, Stuttgart 2000, 148 DM (75,67 €)
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