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Gericht dreht Milošević den Saft ab

Statt Fragen zu beantworten, greift der Angeklagte das Tribunal an: „Ziel dieses Gerichtsverfahrens ist es, die Verbrechen der Nato zu rechtfertigen“

von BARBARA OERTEL

Als der Gerichtsbeamte zu Beginn der Anhörung vor dem UN-Tribunal im holländischen Den Haag die drei Richter ankündigte und alle Anwesenden zum Aufstehen aufforderte, erhob sich auch Slobodan Milošević. Doch blieb dies gestern Vormittag das einzige Zugeständnis des früheren jugoslawischen Staatschefs an das verhasste Gericht. Seine Devise lautete: Trotz und Obstruktion. Auf die Frage des Vorsitzenden Richters Richard May, ob er sich nicht doch noch mit einem Anwalt über die Anklage beraten wolle, antwortete der 59-Jährige auf Englisch: „Ich halte dieses Tribunal für ein falsches Tribunal und die Anklage für eine falsche Anklage. Es ist illegal, weil es nicht von der UN-Versammlung einberufen wurde, und deshalb brauche ich keinen Rechtsbeistand für ein illegales Organ.“

Dass Milošević, der in einem dunkelblauen Anzug erschienen war, nach diesem Eingangsstatement keinen gesteigerten Wert mehr darauf legte, sein Sündenregister in allen Einzelheiten referiert zu bekommen, war nicht weiter verwunderlich. Als Richter May fragte, ob er die Anklage verlesen solle, wurde er kurzerhand mit einem „Das ist Ihr Problem“ abgekanzelt.

Die nächste Frage, ob er gleich heute mit seiner Verteidigung beginnen oder lieber eine Vertagung beantragen wolle, ignorierte Milošević gleich ganz. Stattdessen legte er seinen Standpunkt in freier Rede und seiner Muttersprache lieber grundsätzlich dar. „Ziel dieses Gerichtsverfahrens ist, eine falsche Rechtfertigung für die Verbrechen der Nato in Jugoslawien zu liefern“, sagte er und konnte an weiteren Ausführungen nur noch durch ein Abschalten des Mikrofons gehindert werden.

Der Angeklagte bekenne sich in allen Punkten für nicht schuldig, notierte May im Protokoll und vertagte die Angelegenheit erst einmal. Das war’s und damit der erste Auftritt Milošević’ in Den Haag bereits nach elf Minuten zu Ende.

Doch so zügig wird es nicht weitergehen. Das Gericht hat sich zunächst einmal auf den 27. August vertagt – ein automatisches Procedere, wenn der Angeklagte sich weigert, zur Schuldfrage Stellung zu nehmen. Dann soll es die nächste Anhörung geben. Doch der eigentliche Prozess dürfte erst im kommenden Jahr beginnen und sich im schlimmsten Fall sogar über mehrere Jahre hinziehen. Erschwerend hinzu kommt nämlich, dass die Anklage gegen Milošević, die sich bislang nur auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo bezieht, auf die Kriege in Bosnien und Kroatien ausgeweitet werden sollen. Verantwortliche des Gerichtes haben klar gemacht, dass alle Anklagen gebündelt und in einem einzigen Prozess gegen Milošević verhandelt werden sollen.

Bis zum 27. August hat Milošević nun Zeit nachzudenken. Noch ist der hochkarätige Häftling von den anderen Insassen komplett isoliert. Zudem wird er rund um die Uhr streng bewacht. Dabei spielt die Angst mit, Milošević könne sich selbst ins Jenseits befördern, wie seinerzeit seine Eltern. Wenngleich abgeschirmt, stehen Milošević, wie den anderen auch, zahlreiche Beschäftigungsmöglichkeiten offen: neben zelleneigenem TV und Radio eine Bibliothek, ein Gymnastikraum inklusive eines Masseurs, ein Gefängnisshop sowie ein Gebetsraum. Und vielleicht erscheint ja doch noch bald ein Anwalt zum Plausch.

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