: An mehr als Authentizität interessiert
■ Kubanische Musikgeschichte, eigene Perspektive: Marc Ribot y Los Cubanos Postizos beim JazzPort
In die kubanische Musikgeschichte ist Arsenio Rodríguez als der „wundervolle Blinde“ eingegangen, und seine Musik ist nicht nur für viele Kubaner unsterblich, sondern auch für einen nicht gänzlich unbekannten New Yorker Gitarristen. Marc Ribot heißt der Mann, der mit Tom Waits, John Lurie oder John Zorn zusammenarbeitete, und den die Musik des Altmeisters nicht losließ. Ein musikalisches Denkmal wollte er dem Anfang der siebziger Jahre verstorbenen Komponisten und Tres-Virtuosen setzen.
Alles begann mit einigen Konzerten und der Spaß stand im Vordergrund, bis eine Plattenfirma aufmerksam wurde und Ribot und seine Compañeros vom Fleck weg unter Vertrag nahm. Sicher nicht, weil sie so wunderbar authentisch kubanische Klassiker intonierten, sondern weil sie die alten Stücke very entertaining interpretierten. Das heißt einerseits sehr respektvoll, aber eben auch mit deutlicher eigener Handschrift, und diese Mischung hat dem 47-jährigen Gitarristen Lob von allen Seiten eingebracht. Den alten Hit „El Divorcio“ – die Scheidung – hat Ribot mit einem rockigen Solo aufgepeppt, und „Dame un Cachito Pahuele“ endet in einem Trash-Gewitter – einer decarga gringa. Zudem tauchen immer wieder kleine Passagen an der Hammondorgel auf, die den Evergreens einen ungewohnt scheppernden Touch geben, ohne den leicht angestaubten Charme der Originale zu nehmen. Dazu das coole Spiel Ribots an der Gitarre, der weder vor harten Riffs zurückschreckt noch auf kleine Soul-Einsprengsel verzichtet. Zudem hat Ribot auch selbst zur Feder gegriffen und einige Eigenkompositionen beigesteuert, wie das schwermütige „Las Lomas de New Jersey“, die vielleicht auch dem alten Meister gefallen hätten – auch wenn der sich an die Gitarre Ribots sicherlich erst hätte gewöhnen müssen.
Auf die Spur des alten Son-Komponisten wurde Ribot von Anthony Coleman gebracht, der ihm die Platten des wunderbaren Blinden Mitte der neunziger Jahre vorspielte und bei den Cubanos Postizos an den Keyboards sitzt. Die klingen natürlich auch nicht gerade tipico cubano, sondern führen genauso ihr Eigenleben, wie die sporadischen Einsätze an der Hammondorgel für ungewohnte Klänge sorgen. Der einzige Kubaner in Ribots Truppe ist Roberto Rodríguez (Miami Sound Machine), der die Drums und die timbales bedient und Ribot zu so manch kleinem Tänzchen bittet, das der Gitarrenvirtuose dankbar annimmt. Der hat sich eine kleine Reminiszenz an Tom Waits, seinen vielleicht wichtigsten Lehrmeister, nicht verkneifen können und bei „Camela Dame la Llave“ die selben Akkordfolgen gewählt wie in einem der alten Waits-Stücke. Au-thentisch klingen will Ribot ohnehin nicht, sondern die Hinterlassenschaft Arsenio Rodríguez' und anderer kubanischer Musiker nutzen – auf seine ganz eigene Art und im deutlichen Kontrast zu Ry Cooder. Live werden Ribot und seine gefakten Kubaner sicherlich noch die eine oder andere Überraschung zu bieten haben. Und dem alten Arsenio hätten sie sicherlich ein wohlmeinendes Schmunzeln entlockt. Weniger Latin-trashig geht es beim zweiten Teil des Abends zu, der im Zeichen des Soul steht. Die Produzenten und DJs Mark Rae und Steve Christian alias Rae & Christian wollen mit ihren melancholischen Downbeats und der Unterstützung der Congos das Zelt zum Beben bringen. Ein Gastauftritt der Brasilianierin Tania Maria soll für zusätzlichen Drive sorgen und bildet den spannenden Kontrast zu den Latin-Trashern um Marc Ribot. Eine unterhaltsame Angelegenheit.
Knut Henkel
Freitag, 20 Uhr, JazzPort-Zelt/Deichtorhallen
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