piwik no script img

Der See gehört den Männern

„Hinausfahren auf den See und die Netze auswerfen“ – mehr will Carmen Serrano nicht. Doch die Fischer von El Palmar wollen nicht, dass Frauen fischen

aus El Palmar REINER WANDLER

Sobald Carmen Serreno ihr Haus verlässt, beginnt der Spießrutenlauf. Den Blick starr gerade aus, die Tasche fest unter den Arm geklemmt, hastet sie durch die Straßen von El Palmar, einem 1.000-Seelen-Dorf bei Valencia. Betritt die Grundschullehrerin die Bäckerei, verlassen die restlichen Kunden den Laden. Geht sie in die Bar, werden die Tische um sie herum leer. Selbst in der Kirche erheben sich die Gläubigen, um sich eine Reihe weiter zu setzen. Eltern haben Kinder aus ihrer Klasse genommen. Auf den Dorffesten redet kaum jemand mit ihr. Wer es wagt, Umgang mit der 42-jährigen Frau zu pflegen, wird behandelt, als wäre er aussätzig.

Carmen Serrano und mit ihr fünf weitere Frauen haben das größte Vergehen begangen, das in El Palmar an der Albufera-Lagune denkbar ist: Sie stellen die Rolle der Männer in Frage. Die sechs, die sich im Hausfrauenverein kennengelernt haben, streiten für ihre Aufnahme in den Fischereiverein. „Wir wollen die gleichen Rechte wie die Männer“, sagt Carmen, „hinausfahren auf den See und unsere Netze auswerfen.“ Seit 750 Jahren überträgt sich dieses Privileg vom Vater auf den Sohn.

Albufera, künstliches Gewässer, tauften die Araber einst den See direkt an der Mittelmeerküste. Die frühere Bucht ist heute nur noch durch einen kleinen Kanal mit dem Meer verbunden. Rings ums Wasser wurde ehemaliges Sumpfgelände trockengelegt. Es dient seit Jahrhunderten dem Reisanbau, dank einem ausgeklügelten Bewässerungssystem aus Kanälen und Pumpen. Das Getreide und der Fischfang ernähren die Familien in El Palmar, seit König Jaime I. das Recht, den See zu nutzen, im 14. Jahrhundert den Menschen im Ort zusprach. Aale und Äschen füllen seither die Netze – die der Männer.

„Verbrecherinnen“ und „Verrückte“ werden die sechs Frauen, die das weibliche Erbrecht auf die Fanggründe fordern, im Dorf schon in normalen, ruhigen Gesprächen genannt. Regt sich einer der Fischer auf, dann wird er richtig ausfällig. Seit Jahren trägt Carmen Serrano daher ein Diktiergerät mit sich. Wer es zu toll treibt, läuft Gefahr, mitgeschnitten und angezeigt zu werden.

„Wir haben den Freundeskreis verloren und haben Streit mit einem Teil unserer Familien“, sagt sie. „Doch das macht nichts.“ Sie beginnt, auf der Unterlippe zu kauen, und brummelt: „Dafür hab ich jetzt den Kreis der Frauen.“ Zu dieser „neuen Familie“ gehören: die Grundschullehrerin und Sprecherin der Gruppe, Carmen Serrano (42), die Berufsschullehrerin Feli Dasi (32) und die Hausfrauen Tere Chardi (45), Bibi Dasi (51), Teresa (49) und Helena Marco (57). Sie treffen sich oft, um gemeinsam über das weitere Vorgehen zu beraten. Dann schauen sie sich auch schon mal die Mitschnitte aus dem Fernsehen an, von damals vor zwei Jahren, als sie mit großem Presseaufgebot über das männliche Privileg hinwegsetzten und auf den See gefahren sind.

„Wir fanden sogar einen Aufkäufer für die Fische“, erzählt Bibi Dasi, in deren Wohnung sich die Frauen zusammengefunden haben. Doch nach der ersten Lieferung wollte der Großhändler keine weitere Ware. „Die vom Fischereiverein haben Druck auf ihn ausgeübt.“ Die Frauen fischten noch ein paar Tage länger und verschenkten den Fang an Armenhäuser und Altersheime in der 20 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Valencia, zu der El Palmar als Stadtteil gehört. Dann resignierten sie und holten die Netze endgültig ein.

Mehr als Machismo

„Wir sehen nicht ein, warum die Kette der Erbfolge unterbrochen wird, sobald einer nur Töchter hat“, beschwert sich Bibi Dasi. Sie ist als Kind oft mit ihrem Vater fischen gegangen. Darum unterstützte sie der Alte auch bei ihrem Ansinnen, in den Fischereiverein aufgenommen zu werden. Das hätte er sich besser überlegen sollen. Denn als er auch auf Druck des Vorstands nicht von der Seite seiner Tochter wich, wurde er kurzerhand ausgeschlossen. „Seither möchte er über den Fall nicht mehr öffentlich reden“, berichtet die Tochter. Der Schmerz geht tief, nach einem ganzen Leben auf dem See. Auch Carmen Serranos Ehemann, ein Mathematikprofessor an der Universität von Valencia, wurde in Folge der Streitigkeiten aus dem Fischereiverein ausgeschlossen.

„Das System, das Recht von Vater auf den Sohn weiterzuvererben, ist nicht nur Machismo“, analysiert Carmen Serrano. „Es richtet sich auch gegen die Auswärtigen.“ Wer als Zugezogener eine Fischerstochter heiratet, kann so viele Söhne haben, wie er will. Fischer werden sie nie sein. „Hier gibt es noch immer Familien, die danach schauen, dass ihre Sprösslinge keine Zugezogenen zum Partner nehmen“, fügt Bibi Dasi hinzu.

Der Vorsitzende des Fischereivereins, José Caballer, verteidigt sich: „Mit Machismo hat das nichts zu tun.“ Selbstsicher bewegt sich der Mann Mitte vierzig im Fischereiheim, dem Vereinslokal. Hier gibt er den Ton an. Das Hemd ist weit offen und lässt den Blick frei auf eine klobige Goldkette, die von der Brustbehaarung umrahmt wird. Von Jahrhunderte alten Bräuchen redet er. Und vom Vereinsrecht. „Jeder Club bestimmt selbst, wen er aufnimmt. Oder etwa nicht?“, fragt Caballer und setzt dabei eine Unschuldsmiene auf. Die Richter in Valencia sehen das anders. Nachdem die Bürgermeisterin von Valencia, Rita Barbera, geklagt hatte, haben sie Caballer und mit ihm den gesamten Vorstand des Fischereivereins zu zehn Monaten Haft verurteilt. Wegen Verstoßes gegen das in der Verfassung festgelegte Gleichheitsgebot.

Auf Anraten der Anwälte hat der Fischereiverein vor zwei Jahren erstmals Statuten eingeführt. Nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis werden seither Frauen zugelassen. Die sechs streitbaren Frauen aus dem Dorf betrifft das jedoch nicht. Zum Beitritt benötigen die Kandidaten und Kandidatinnen je zwei Leumünder. Und die können Carmen Serrano und ihre Mitstreiterinnen nicht aufweisen, schließlich wurden alle ihnen Wohlgesinnte aus dem Verein ausgeschlossen. Außerdem haben die 21 weiblichen Mitglieder, auf die Caballer verweist, alle einer mündlichen Regelung zugestimmt, die für Carmen Serrano und ihre Freundinnen nicht in Frage kommt: Sie haben versprochen, nicht auszufahren. Sie werden ihre Mitgliedschaft nur dazu benutzen, das Recht auf etwaige Söhne weiterzuvererben. „Ihr kommt niemals rein“, beteuerte Caballer gegenüber Carmen Serrano nach dem Richterspruch, gegen den er jetzt Berufung eingelegt hat.

Ein alter Fischer, der die ganze Zeit zugehört hat, nimmt die Zigarre aus dem Mund und mischt sich ein: „Das ist keine Weiberarbeit, das ist ganz klar.“ Nach einem Schluck Bier erklärt er, wo er die Frauen gern sieht: „Sie taugen hervorragend für den Haushalt oder für Arbeiten wie die dort.“ Mit einer abfälligen Handbewegung deutet er auf die Putzfrau des Fischereiheims und auf die Bedienung. Die beiden Frauen beschweren sich nicht.

Zutritt verboten

Wer auf der Straße nach dem Streit mit der Gruppe der sechs Frauen fragt, bekommt keine Antwort. Auch in der Lagerhalle des Fischereivereins, in der täglich bis zu drei Tonnen Fisch gereinigt und verpackt werden, möchte keiner der Arbeiter reden. „Unser Präsident hat sicher schon alles erzählt“, sagt der Vorarbeiter lakonisch und verschwindet in seinem Kabuff. Hinter dem Schreibtisch hängt die Reproduktion eines Gemäldes, auf dem Frauen Netze reparieren. Gleich daneben prangt eine nackte, prallbusige Schönheit, die für eine Reifenfirma wirbt.

„Die schweigen, aus Angst, ihr Recht zu verlieren“, weiß Carmen Serrano. Insgesamt 163 Namen stehen auf einer Liste, die im Fischereiheim ausgehängt ist, Namen von Leuten, diesich gegen die Politik des Fischereivereins gewandt haben. „Zutritt verboten laut Beschluss vom 28. September 1999“, steht über der Liste. Die Unterstützung, die den Frauen im Dorf nicht zuteil wird, bekommen sie um so mehr von außen. Am Internationalen Frauentag vor zwei Jahren erhielten sie den Frauenpreis des valencianischen Regionalparlaments. Im August des gleichen Jahres ehrte sie die Nachbargemeinde Torrent. Und am 8. März des vergangenen Jahres wurde ihnen der nach der historischen Führerin der Kommunistischen Partei Spaniens benannten Pasionaria-Preis verliehen. „Wir werden nicht aufgeben“, sagt Carmen. Auch dieses Jahr zogen sie am ersten Sonntag im Juli wieder zur Vollversammlung des Fischereivereins. Und sie wurden wieder nicht vorgelassen. „Irgendwann werden wir Recht bekommen“, sagt Carmen Serrano trotzig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen