Aktenzeichen ZDF ungelöst

Die sechsteilige Doku-Serie „Im Netz der Mordkommission“ (ZDF, 21.15 Uhr) ist kein Lehrfilm für Kommissaranwärter, sondern ein eindringlicher Einblick in die Psyche von Opfern und Ermittlern

von KriminaloberratHOLGER BERNSEE

Um es gleich vorwegzunehmen: In den bei weitem überwiegenden Fällen von Mord und Totschlag, die der deutschen Kriminalpolizei bekannt werden, gehen die Täter der Kripo tatsächlich ins Netz – und zwar zumeist verhältnismäßig schnell. Die Aufklärungsquote bei Tötungsdelikten liegt alljährlich recht konstant bei rund 95 Prozent. Das liegt zum einen natürlich an der hoch professionellen Arbeit der eingesetzten Kriminalisten. In den Ballungsgebieten werden die Ermittlungen zudem nicht von fallbezogen zusammengesetzten Kommissionen, sondern von ständigen Mordkommissariaten übernommen –in Berlin allein gibt es neun davon – was Professionalität und persönliches Zusammenspiel naturgemäß noch erhöht. Zum anderen liegt es aber auch daran, dass es sich überwiegend um so genannte Beziehungstaten handelt – Täter und Opfer kannten sich, der Kreis der potenziellen Tatverdächtigen grenzt sich dadurch deutlich ein.

Anders in der Dokumentation des ZDF über die Arbeit der Mordkommission im niedersäschischen Peine: Die Fälle der ermordeten Marcus Wachtel und Yasmin Stieler waren spektakulär und medienträchtig. Und die „Aufklärungsquote“ der Fälle in der Doku-Reihe liegt bei deprimierenden null Prozent. (Allerdings ist nach dem Abdrehen der Serie im Fall Wachtel Anfang Mai 2001 – drei Jahre nach der Tat – ein zur Tatzeit 16-jähriger Spätaussiedler aus Kasachstan zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt worden. Die „Russen-Spur“ war doch noch aufgegangen.)

Doch wer nun heute und an den kommenden fünf Freitagen vom ZDF nach dem Krimi oder „Aktenzeichen xy“ eine detaillierte Dokumentation über die akribische Routinearbeit einer Mordkommission mit all den heute möglichen und notwendigen technischen und forensischen Hilfsmitteln erwartet – von der Spurensuche, Sicherung und Auswertung über die vielfältigen Untersuchungen der Kriminaltechnik bis zur Gerichtsmedizin –, sieht sich enttäuscht. Wahrscheinlich sind die Anforderungen, die heute an den Kriminalisten gestellt werden, auch zu vielfältig, um fernsehtauglich aufgearbeitet werden zu können.

Akribische Routine

Aber immerhin: Der Zuschauer erhält einen Einblick in das Ringen um kriminalistische Hypothesen, die akribische Rekonstruktion der Wege, die das Opfer vor der Tat genommen haben müsste und die sich daraus ergebenden Ermittlungsansätze, den Versuch der Erstellung eines Täterprofils sowie Chancen und Grenzen des so genannten genetischen Fingerabdrucks.

Das eigentliche Verdienst der ZDF-Reihe besteht jedoch in der Vermittlung zweier ganz anderer Aspekte: das unendliche menschliche Leid, das mit jedem Fall verbunden ist. Die Einspielung privater Videos fröhlicher – und jetzt eben toter – junger Menschen, die Präsentation von Fotos, persönlichen Gegenständen sowie die Aussagen der verzweifelten Eltern sind nicht nur dramaturgische Elemente zur emotionalen Effekterzielung beim Zuschauer. Es handelt sich vielmehr um genau jene Erkenntnismöglichkeiten, die die Beamten nutzen müssen, um sich ein Bild des Opfers zu machen, seine Verhaltensweisen einschätzen zu können.

Und: Bei der Mordkommission handelt es sich eben nicht um einen gefühllosen Ermittlungsapparat. Bei aller Professionalität wird deutlich: Es sind Menschen mit Familien und Gefühlen. Sie haben oft selbst Kinder und können vielfach nicht bei Dienstschluss ihre Gedanken beim Pförtner zurücklassen. „Das nimmt schon mit!“, wird die Gefühlslage der Ermittler von einem Kollegen auf den Punkt gebracht. Aber eben auch nach Misserfolgen und in scheinbar aussichtsloser Lage gilt: „Es ist nicht Schluss, es geht weiter!“

DNA-Massentest

Die insoweit geglückte Doku lässt allerdings eine Frage aufkommen, die leider nicht angesprochen wird: Wollen wir es uns wirklich leisten, angesichts der geschilderten Fälle – und es gibt unzählige vergleichbare in diesem Land – auf ein zur Verfügung stehendes Mittel zur Täteridentifizierung und damit letztlich zur Verhinderung von Folgetaten zu verzichten? Der DNA-Massentest wird im ZDF wie selbstverständlich absolviert. Keine Rede davon, dass es dafür keinerlei rechtliche Grundlage gibt und er bisher auf der Freiwilligkeit der Teilnehmer beruht.

In einem kleinen Dorf mag da der soziale Druck zur „Freiwilligkeit“ ausreichen. Aber in der Großstadt? Interessant und bedrohlich zugleich: Allein in Berlin sind derzeit fast 62.000 in den letzten Jahren verurteilte Straftäter, deren Erfassung in der DNA-Analysedatei rechtlich möglich wäre, vorwiegend aufgrund personeller Engpässe bei Polizei und Justiz noch nicht erfasst. Hoffentlich wird das ZDF nicht demnächst einen solchen Fall dokumentieren müssen.

Der Autor ist stellvertretender Bundesvorsitzender des Bundes deutscher Krminalbeamter (BDK)