: Widerspenstiger Linker
Der französische Sozialdemokrat Arnoud Montebourg will Präsident Chirac vor Gericht sehen und verärgert Genossen
Ohne Jacques Chirac würde kaum jemand Arnaud Montebourg kennen. Der 38-Jährige wäre einer jener jungen SozialdemokratInnen geblieben, die 1997 bei dem überraschenden Wahlerfolg der Sozialistischen Partei (PS) auf die hinteren Bänke in der französischen Nationalversammlung aufrückten.
Doch Montebourg startete einen Feldzug gegen den neogaullistischen Staatschef und für eine neue Republik. Er will nicht nur Chirac wegen Vetternwirtschaft vor das Spezialgericht der Republik bringen und sammelt dafür Unterschriften, sondern er strebt auch eine neue Verfassung für Frankreich an. Die gegenwärtige Fünfte Republik nennt Montebourg „vordemokratisch“ und von „monarchistischer Tendenz“. Mit seinem Engagement, das die französischen KommentatorInnen unisono „individuell“ nennen, hat er sich viele FeindInnen eingehandelt. Nicht nur unter Konservativen, sondern ganz besonders in den Reihen seiner eigenen Mehrheit, der rot-rosa-grünen Regierungsparteien.
MitarbeiterInnen des sozialdemokratischen Premierministers Lionel Jospin berichten, dass ihr Chef ärgerlich wird, sobald Montebourg das Wort ergreift. Der grüne Abgeordnete und Umweltminister in spe, Yves Cochet, beschuldigt Montebourg, ihm eine „Falle gestellt“ zu haben, als dieser ihn um seine Unterschrift bat. Und mit dem sozialdemokratischen Parlamentspräsidenten Raymond Forni, den Montebourg in einem Interview der „Entwertung der Rolle des Parlaments“ und des „Drucks auf Abgeordnete“ beschuldigt hatte, schlugen die Wogen zuletzt so hoch, dass eine „Aussprache unter vier Augen“ nötig wurde.
Trotzdem hat Montebourg 31 Abgeordnete gefunden, die seine Petition – ein historisch einmaliges Vorgehen – unterzeichnet haben. 58 Unterschriften sind nötig, um die Prozedur einzuleiten, an deren Ende der Staatspräsident vor das Spezialgericht gestellt werden könnte, das allein über den ansonsten immunen obersten Franzosen richten darf. Weitere Abgeordnete, versichert Montebourg, hätten ihm ihre Unterschriften in Aussicht gestellt, wollten allerdings vorerst anonym bleiben. Das darf bezweifelt werden. Denn selbst von den öffentlich bekannten UnterzeichnerInnen, die alle aus den hinteren Bänken der rot-rosa-grünen Reihen stammen, haben einige gedroht, ihre Unterschrift zurückzuziehen, wenn Montebourg seine Provokationen gegen die Institutionen und Würdenträger der Republik fortsetzt. Die rot-rosa-grünen SpitzenpolitikerInnen haben die Petition von vornherein als taktisch und politisch unklug kritisiert.
Doch Montebourg, der mit 18 der PS beitrat und sich „glücklich“ in der Partei fühlt, lässt nicht locker. Er versteht jeden neuen Skandal um den Staatspräsidenten als Ermunterung und versichert, dass ein „vom Volk gewählter Abgeordneter“ es nicht nötig habe, die Regierung um Erlaubnis zu bitten, bevor er eine Petition in Umlauf bringt.
Ihr Misstrauen gegenüber dem ehrgeizigen Montebourg begründen manche ParlamentarierInnen auch mit der Vita anderer sozialdemokratischer „Querdenker“. Sie nennen beispielsweise einen gewissen François Mitterrand, der jahrzehntelang nach einer radikalen Reform der Verfassung der Fünften Republik verlangte. Bis 1981. Da wurde Mitterrand selbst zum obersten Garanten dieser Verfassung. Seine Kritik daran ward nie mehr gehört. DOROTHEA HAHN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen