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„Viel Hormone, wenig Geld“

Im „Jamliner“ wird auch bei Stromausfall Musik gemacht. Hier lernen Jugendliche, dass ihre Ideen Schätze sind. Und dass alle von vorne anfangen müssen, wenn einer Faxen macht.  ■ Von Sandra Wilsdorf

Meine Straße, meine Welt, viel Hormone, wenig Geld. Ich war nichts, bevor ich sie kriegte, bevor ich endlich meine Bedenken besiegte, bevor ich einfach zu ihr hin ging und sie fragte, und sie dann die goldenen Worte sagte: Ja, warum nicht. Und dabei lächelte sie mir ins Gesicht.

Hinter der Mauer fließt die Elbe, links von ihr rauscht der Autobahnverkehr, und vor ihr steht ein bunt besprühter Bus. Auf der ganzen Veddel ist der Strom ausgefallen, aber der Bus ist der „Jamliner“, und der hat seinen Generator überall dabei.

Drinnen im Bandraum, dort wo früher Fahrgäste saßen, begleiten jetzt Keyboard, Bass und Schlagzeug Sakip, der von seiner Straße, seiner Welt und seiner Liebe singt: Aber ich hab sie gekriegt. Und ich dachte immer, ich bin nur ein Wicht. Aber jetzt bin ich der Größte!

Aber wie das manchmal ist. Am Ende war sie dann doch nicht so toll. Sie war viel zu zickig, und sie konnte kaum küssen. Und so kam es, wie es kommen muss: Ich ging zu ihr hin, und dann machte ich mit ihr Schluss, singt er.

„Da müsst ihr jetzt aber einen draufsetzen“, verlangt Jörg-Martin Wagner, Musiker und einer der beiden Musiklehrer im Jamliner, von den zwei Mädchen. Die haben schon Ideen. Jörg setzt sich mit Nadine und Rabiye im Tonstudio an den Computer und macht daraus einen Text. Die Jungs üben weiter ihre Strophe, begleitet und angeleitet von Thomas Himmel, dem zweiten Profi.

Alltag in dem ehemaligen Hamburger Linienbus, aber alles andere als alltäglich für die Jugendlichen von der Veddel. Seit einigen Monaten kommen Himmel, Wagner und der Bus jeden Mittwoch und laden Jugendliche ein: Aufs Schlagzeug dreschen, Gitarrenseiten zum Klingen bringen, die eigene Stimme durchs Mikrophon hören oder am Computer sitzen, aufnehmen und Regie führen: Die 12- bis 16-Jährigen machen Musik.

Als Thomas Himmel gegen 12 Uhr in die Veddel einfährt, kommen ihm die Jugendlichen schon entgegen und raven ein bisschen zur Begrüßung. „Diese Jungs haben wir schon ein ganzes Stück begleitet“, sagt der Musiker, der im restlichen Leben Jazz-Drummer ist und unter anderem die Filmmusik für „Expedition ins Tierreich“ gemacht hat. Wie sein Kollege ist auch er Komponist und Produzent. Jörg-Martin Wagner schreibt beispielsweise Schauspielmusik und leitet den Hamburger A-capella-Chor „Vocal Express“.

Im Moment bringen sie den „Jamliner“ für die erste Gruppe an diesem Morgen in Position. Als die sechs Jugendlichen vor einem Jahr nach Deutschland kamen, konnten sie kein Wort Deutsch und hatten weiter nichts gemeinsam als die Flucht aus ihrer Heimat. Die lag in Ländern wie Jugoslawien, dem Iran, Mazedonien. Der Bus steht kaum, da stürzen sie schon herein. Zuerst spielt Jörg Wagner ihnen die Aufnahme der vergangenen Woche vor. „Kriegt ihr besser hin, oder?“ fragt er. „Klar“, sagen sie und gehen sofort an die Instrumente. Sie haben einen Rap über ihr gemeinsames Idol gemacht – den Fußballer Zinedine Zidane: Die Zehn, eins – null, kann dribbeln wie kein Zweiter. Wagner findet, die Gitarre mache „den Sound fett“. „Nochmal“, verlangt er.

Die Jungs spielen es nochmal. Diesmal ist Himmel nicht zufrieden und bricht ab. Draußen sind 20 Grad, drinnen das doppelte. Die Jungs fangen wieder von vorne an. „Ihr singt digedigedigedige“, sagt Jörg Wagner und fordert mehr Betonung. Okay, noch einen Versuch. „Cool bleiben“, sagt Thomas Himmel. Und noch mal. Profession statt Pädagogik, die Jungs spüren und akzeptieren das. Hier geht es um Musik, um gute Musik. Konzentrierte Arbeitsatmosphäre. An den ewigen „nochmals“ scheitern manche Profimusiker. Die Jamliner-Jungs nicht. Als Jörg schließlich verkündet, „und jetzt ein Take“, wird gejubelt. Aber auch die Aufnahme sitzt nicht beim ersten Mal. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagt der Keyboarder. Um Geständnisse wie diese geht es beim Jamliner auch.

Ergebnisse, die man nicht abspielen kann: wenn die Jugendlichen immer wieder geduldig die gleichen Akkorde spielen, wenn sie Kritik akzeptieren und Fehler zugeben, wenn sie merken, dass alle von vorne anfangen müssen, wenn einer Faxen macht.

Denn obwohl Himmel und Wagner Musiker und keine Sozialpädagogen sind, bringen sie den Jugendlichen nicht nur Musik bei. Es geht auch um soziales Verhalten. Um das Erlebnis, dass sie schaffen, was sie sich beim ersten Kontakt mit den Instrumenten fast nie zutrauen: eigene Musik zu machen. Sie erleben, dass ihre Ideen Schätze sind, dass sie etwas zu sagen haben, dem andere zuhören. Auf „pfadfindermäßig Musik nachzuspielen“ hatten Thomas Himmel und Jörg-Martin Wagner von Anfang an keine Lust. Am Ende sollen Ideen zu Musik werden, eigene Stücke auf eigenen CDs. Die beiden, die für ihren Job den Busführerschein gemacht haben, glauben, „dass es zehn Jamliner geben könnte“. Gerne würden sie auch auf dem Spielbudenplatz stehen, aber das wurde ihnen bisher nicht erlaubt.

Die nächste Gruppe wartete schon vor der Tür. Erstmal Planung. „Ich fliege schon nächsten Dienstag in die Türkei“, sagt einer. Was ist nach den Ferien? „Wir wollen weiter machen“, sagt Nadine. Aber vielleicht sind dann andere aus ihrer Klasse dran. Die Gesichter sind lang. Aber nur kurz, denn noch sind die Ferien weit weg. Die Mädchen müssen noch texten, die Jungs gehen in den Bandraum. Sakip lehnt sich lässig ans Mikro: Meine Straße, meine Welt, viel Hormone, wenig Geld. Immer und immer wieder müssen sie den Refrain spielen und singen. „Mein Gehirn schmilzt“, verkündet Kay, aber spielt weiter. Sakip weiß den Text nicht mehr und erfindet einfach einen neuen: Dass er ein Cowboy wäre, auf der Suche nach seinem geschlachteten Pferd. Auch klasse, aber Thomas Himmel reicht ihm trotzdem den Textzettel. „Vielleicht können wir eine Kopie kriegen, zum Auswendiglernen“, sagt der Mazedonier. „Ich komme aus Albanien und bin so eine Mischung.“ Geboren ist er in Deutschland. Er mag Musik, „damit kann man alle Gefühle ausdrücken“. Und er mag den Jamliner. „Thomas und Jörg sind nicht so spießig wie unsere Lehrer, die sind so wie wir“, sagt Sakip. Richtig locker. Und Nadine findet: „Hier in dem Wagen hat man mal seine Ruhe.“

Ein kleiner Junge kommt an den Bus: „Ich habe meinen Text fertig.“ Er holt ein Blatt mit großen Linien und großen Bleistift-Buchstaben aus der Tasche. „Du, wir haben jetzt gar keine Zeit“, sagt Thomas Himmel. „Ich weiß, erst um 15 Uhr“, sagt der Junge. Er will nur schon mal da sein, seinen Text zeigen und sich vorfreuen.

Die Mädchen haben inzwischen ihre Rache auf die Jungs-Reime fertig: Einbildung ist auch 'ne Bildung, Du denkst wohl, Du bist der Größte ... Aber nur für kurze Zeit, solange bis ich das Rätsel löste. Als ich das hörte, oh Schwestern, wie ich lachte, Du bist immer noch genauso blöd, wie ich immer dachte. Stell Dich vor den Spiegel und sieh den Tatsachen ins Gesicht. Mach die Augen auf, da steht doch keine drauf! Du Flasche, ich steck Dich in die Tasche. Du spielst keine Rolle in meinem Lebenslauf. Ich lach mich tot über Dich, und jetzt kann ichs Dir gestehn. Ich hab' ne blöde Wette verlorn, und drum musst ich mit Dir gehn.

Meine Straße meine Welt ...

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