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Locker drüber

Lust am Zerbröseln: Der Elektroniker Matthew Curry aka Safety Scissors spielt im WMF

Sich angestrengt über den Laptop beugen und einen krummen Rücken holen, das können andere. Matthew Curry aka Safety Scissors bastelt zwar auch gern an komplexer Elektronik herum, doch mit all dieser intellektuellen Aufladung, die sich in der letzten Zeit in das Genre der so genannten Clicks & Cuts eingeschlichen hat, möchte er nichts zu tun haben. Dafür ist allein schon seine Frisur viel zu lustig.

Nicht dass sie ihm nicht stehen würde, doch das letzte Mal, dass ähnliche Bürstenhaarschnitt-Wischmops mit Vokuhila-Ansatz und Ganzflächenblondierung gesehen wurden, ist lange her. In den Achtzigern vielleicht. Doch seine Musik hat damit nichts zu tun, sie wird im Gegenteil als neuestes Modell elektronischer Musik gefeiert: Pop-Gefrickel einerseits, dann wieder lupenreiner, eleganter Minimal-House, der den Dancefloor zum Beben bringt.

Das Treffen mit Curry findet im Kreuzberger „Bierhimmel“ statt. Dorthin hat er es nicht weit, wohnt er doch gleich um die Ecke, was wichtig für ihn ist, denn er ist doch viel beschäftigt. Hier noch einen Track zusammenbasteln und dort ein zweites Album vorbereiten, seinen Live-Auftritt heute Abend im WMF vorbereiten. Dort wird er DJing und Live-Performance miteinander verbinden, um so mehr Facetten seiner Arbeit demonstrieren zu können: „Ich werde zum Tape-Recorder singen. Wie David Byrne damals bei der „Stop Making-Sense“-Tour der Talking Heads. Das wird ein David-Byrne-Tribute-Abend.“

Matthew Curry wohnt noch nicht so lange in Berlin. Ungefähr seit einem halben Jahr. Er ist einer von denen, die sich von Berlins Mischung aus funktionierender Clubkultur bei gleichzeitigem Wegfall von Hipness-Diktatur in den meisten angesagten Clubs und immer noch relativ billigen Mieten angezogen fühlen. Berlin ist eben nicht London. Curry ist zusammen mit dem ebenfalls quirligen Elektroniker Jake Mandell aus San Francisco in eine WG gezogen, um mit Berlin in ein dialektisches Verhältnis zu treten. Hier passiert eh schon einiges, doch die kreativen Neuzugänge bringen immer wieder zusätzlichen Schwung in eine gelegentlich zu inzestuös werdende Clubkultur. Den Gründen für Berlin standen gleichzeitig die gegen San Francisco gegenüber: „Ich habe mich dort zu wohl gefühlt, es ging alles zu leicht, ich wurde nicht mehr richtig gepusht“.

Berlin, die Stadt der neuen Herausforderungen. Bis vor kurzem waren die Amerikaner auf der Electronica-Landkarte gar nicht verzeichnet. Aus Detroit kam Techno, aus Chicago House, doch für das, was man eine Zeit lang „Intelligent Techno“ nannte, fühlte sich hier niemand zuständig. Doch dann ging alles ganz plötzlich. Kid 606, Sutekh, Lesser, Kit Clayton und viele andere machten sich daran, Beats noch mehr zu zerbröseln als Aphex Twin in seiner analen Phase.

Matthew Curry ist zwar kein Zerstörer, doch die Lust am Zerbröseln merkt man auch seinem Longplayer „Parts Water“ an. Dubbige Wellen brechen über fragmentierten Beats zusammen, und die Stimme ist weniger am Singen als vielmehr ein torkelndes Schiff aus Sprache.

Ein wenig nervös ist Matthew Curry vor seinem Live-Gig heute abend aber schon, das Lampenfieber hat er sich immer noch nicht abgewöhnen können. Berlin ist vielleicht auch immer noch nicht ganz seine Stadt. Aber das ist gut so. Nervosität ist das Gegenteil von Routine. Und die gilt es ja zu vermeiden. Denn, so meint er verschmitzt lächelnd: „Wenn ich mich irgendwann zu wohl fühlen sollte, habe ich bestimmt wieder das Bedürfnis weiterzuziehen.“

ANDREAS HARTMANN

Safety Scissors: „Parts Water“ (Plug Research/Efa). Heute Nacht, ab 24 Uhr im WMF, Ziegelstraße 5, Mitte

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