: Verordnetes Schweigen im Urlaubsparadies
Der tunesische Staatschef Ben Ali hat sein Land zu einem Polizeistaat gemacht. In den letzten Wochen nahm die Verfolgung von Oppositionellen zu
MADRID taz ■ Tunesien ist ein modernes und wirtschaftlich erfolgreiches Land. Das zumindest ist der Eindruck, den Millionen von Urlaubern Jahr für Jahr mit nach Hause bringen. Was ihnen verborgen bleibt: Während sie Sonne und Strand genießen, räumt Präsident Zine al-Abidine Ben Ali mit seinen Kritikern auf. „Die Verfolgung Oppositioneller verschärft sich in den letzten Monaten wieder“, urteilten kürzlich die Menschenrechtsorganisationen amnesty international (ai) und Human Rights Watch.
Der 1987 durch einen Putsch an die Macht gekommene Ex-Staatssicherheitschef Ben Ali hat Tunesien in einen Polizeistaat verwandelt. Fast alle Oppositionsparteien wurden in den Untergrund gedrängt. Es gibt über 1.000 politische Gefangene, die meist aus dem Umfeld der 1990 verbotenen islamistischen Ennahda stammen. Sie sitzen in überbelegten Zellen, erhalten keine ordentliche Nahrung und keine medizinische Versorgung. Folterungen sind üblich, Kontakt zur Außenwelt ist untersagt, Zeitungen und Bücher verboten. Dutzende Gefangene sind zurzeit im Hungerstreik.
Wer aus der Haft entlassen wird, steht weiter unter Kontrolle der Geheimpolizei. „Hunderte von ehemaligen Gefangenen werden daran gehindert, ein normales Leben zu führen oder einer Arbeit nachzugehen“, berichtet ai. Einer der Freigelassenen, Hedi Bejaoui, verweigerte vom 8. Mai bis zum 26. Juni die Nahrung, um seine vollen Bürgerrechte zu erlangen. Das Regime blieb hart. Jetzt liegt Bejaoui schwer krank im Hospital.
Wer auf solche Zustände hinweist, riskiert hinter Gittern zu verschwinden. So forderte der Chef der größten noch legalen Oppositionspartei, der Sozialdemokratischen Bewegung (MDS), Mohamed Mouadda kürzlich politische Freiheiten. Die politische Polizei sah darin „einen Verstoß gegen Bewährungsauflagen“ und verhaftete ihn. Mouadda war 1995 als angeblicher „Spion im Auftrage Libyens“ zu elf Jahren Haft verurteilt worden, nachdem er den fehlenden Pluralismus in Tunesien beklagt hatte. Nach 17 Monaten kam er auf Bewährung frei.
Auch Moncef Marzouki muss demnächst wieder vor einen Richter, der über eine im Dezember zunächst ausgesetzte einjährige Strafe entscheiden muss. Dem Exvorsitzenden der Menschenrechtsliga (LDHT) und des Nationalrates für die Freiheit in Tunesien (CNLT) wurde damals die „Verbreitung falscher Nachrichten mit dem Ziel die öffentliche Ordnung zu stören“ vorgeworfen. Der Medizinprofessor wird ausgerechnet jetzt vorgeladen, weil er auf einer Pressekonferenz der unabhängigen Menschenrechtsliga (LDHT) Ende Juni als Befürworter einer Kampagne für eine Generalamnestie aller politischen Gefangenen auftrat.
Zu den Unterstützern der Kampagne gehört auch Exbildungsminister Mohamed Charfi. Er kritisiert heute Ben Alis Politik, wirtschaftliche Erfolge gegen fehlende Menschenrechte aufzurechnen. „Ich habe lange geglaubt, dass Ben Ali mit Franco in Spanien vergleichbar sei, was heißt, die Menschenrechtsfrage nicht zu akzeptieren, aber auf gutem Wege zu sein, was die Wirtschaft angeht“, erklärt der Rechtsprofessor. „Das war jedoch falsch. Das Niveau der Korruption gefährdet mittlerweile jegliche wirtschaftliche Entwicklung.“
Auch solche Worte hört das Regime nicht gerne. Das musste die Chefredakteurin des Online-Magazins „Kalima“ und CNLT-Sprecherin Sihem Ben Sedrine erfahren. Sie hatte in dem in London ansässigen Satelliten-TV der tunesischen Opposition, Al-Mustaquilla, über die Korruption in Staats- und Justizapparat berichtet. Als sie nach Tunis zurückkehrte, wurde sie schon auf dem Flughafen verhaftet. Die Anklage lautet: „Verleumdung der Justiz“ und „Verbreitung falscher Nachrichten mit dem Ziel die öffentliche Ordnung zu stören“. REINER WANDLER
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