: Hoppe, hoppe, Garten!
Mit dem Publizisten Peter Boenisch an der Spitze des Union-Klubs soll aus der Pferderennbahn Hoppegarten ein leckerer Happy-Hippo-Snack werden, der allen Berlinern bestens schmeckt
von MARKUS VÖLKER
Vielleicht hat Thomas Wolfe das Bild Peter Boenischs vor Augen gehabt, als er den typischen Journalisten beschrieb. Besondere Kennzeichen: abgehetzter Ausdruck in den Augen; etwas Schmuddelig-Verschlamptes, das der ganzen Erscheinung anhafte und das sich bis auf den Sitz der Hosen erstrecke.
Peter Boenisch betritt das Hilton Hotel in Mitte mit einem abgewetzten braunen Lederkoffer, der von ein paar verwitterten Goldschnallen zusammengehalten wird. Er hat ein blaues, bis oben zugeknöpftes Poloshirt an. Christoph Daum trug einmal einen Anzug in dieser Farbe („anvanzablau“). Die Hose hat Boenisch eine Hand breit über den Bauchnabel gezogen. Er trägt einen schwarzen Anzug aus Fallschirmstoff. Wäre er bunt, könnte er ihn auch als Trainingsanzug gebrauchen.
Boenisch fällt auf – unter all den ausgesucht Gekleideten, unter ihnen Wilhelm Karl Prinz von Preußen, die ihre Manschettenknöpfe poliert und das Hemd gestärkt haben. Ein Journalist unter Geschäftsleuten. Boenisch ist Präsident des Union-Klubs, der in Hoppegarten die Rennen ausrichtet und einiges vorhat mit der schwer angeschlagenen Bahn.
Einstimmig wurde er gewählt, nachdem Günter Rexrodt verzichtete, der ehemalige Wirtschaftsminister und jetzige Spitzenkandat der Berliner FDP bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus. Eine Aktiengesellschaft (GUT Pferdesport AG) wurde eilig ins Leben gerufen. Vom Erlös eines Fonds sollen Pferde gekauft werden, deren Anteile jedermann erstehen kann. Boenisch spricht von der „Volksaktie Pferd“. Außerdem will die GUT AG Traber und Galopper in Berlin vereinen und die Privatisierung Hoppegartens vorantreiben. Noch ist das 630 Hektar große Gelände in den Händen der Treuhand-Nachfolger. Eine so genannte Horsepark GmbH soll nun für 20 bis 30 Millionen Mark übernehmen und einen Pferde-Erlebnispark schaffen nach amerikanischen Vorbild.
Die Business-Leute respektieren Boenisch. Er ist nicht erst aus einer schlecht gelüfteten Redaktionstube in den klimatisierten Kreis der Pferdelobbyisten gekommen. Und selbst wenn: Es wäre kein Problem. Der 74-Jährige mit den schief gelaufenen Slippern soll „Türen öffnen“, „Rettung bringen“. Kann er das? „Wir haben genug Erfahrung. Wir wissen, wie man so was macht“, sagt der neue Präsident.
Boenisch personifizierte Macht. Publizistische Macht. Der Träger des Eisernen Kreuzes und Kommandeur der französischen Ehrenlegion kämpfte seit 1959 auf Seiten Springers. Wurde erst Bild-Chef. Versuchte dann, der Welt zu Auflage zu verhelfen. Beriet Helmut Kohl. Zuletzt erregte er Aufsehen, weil die neue Springer-Elite seine Kritik an der Lufthansa, abgedruckt in der Süddeutschen Zeitung, zum Anlass nahm, den Altvorderen, der ihnen zu liberal erschien, rauszuschmeißen. Eine Klage läuft.
Die Pferde liefen gestern. Die Berlin-Brandenburg-Trophy stand an, das erste größere Rennen dieser Tage in Hoppegarten. Ein Dutzend Botschafter schüttelten Peter Boenisch die Hand. Bundesinnenminister Otto Schily auch.
Der extravaganteste Hut, einschließlich der Dame darunter, wurde ausgezeichnet. Hüpfburgen gab es, eine Wasserspritze, allerlei Unterhaltung. Events sollen her, die die Öffentlichkeit bewegen. Markus Bockelkamp von der Agentur b + d sports ist mit dem Projekt betraut. Er sagt: „Wir müssen Basic-Arbeit leisten. Das ist pure Maloche. Vieles ist mit der heißen Nadel gestrickt und aus der Hüfte geschossen, aber eine andere Chance haben wir nicht.“
Hoppegarten soll groß rauskommen: zur Open-Air-Bühne werden mit 120.000 Zuschauern, zum großen Happy-Hippo-Vergnügungspark mit Ponyritt und Wetterfolg.
Die Pläne nähren Skepsis. Hoppegarten dümpelte zuletzt am Rande des Ruins. Anfang des Jahres wurde dem Union-Klub sogar kurzfristig die Lizenz entzogen. Das war vor der Präsidentschaft Boenischs. „Das zählt nicht mehr“, erklärt er also. Boenisch will mit der Vergangenheit brechen. „Ich mache das nicht mehr mit: die alten Emotionen, die alte Sprache.“ Westberlin gebe es ohnehin nicht mehr, was hindere also daran, zu neuen Ufern aufzubrechen, beziehungsweise: Was hindere die Berliner daran, „in dieses Mekka, dieses Paradies, dieses Gelände von kaiserlicher Großzügigkeit und europäischem Niveau“ zu kommen. Sind doch nur „30 Minuten vom Alex immer geradeaus“. Und wenn nötig, müssten die Verkehrsbetriebe eben Sonderbusse zur Verfügung stellen.
Hoppegartens Schicksal liegt in der Hand der Bevölkerung, so Boenisch.
Und sein Anteil? „Ich bin kein Wundermann. Ich habe das nur gemacht, weil ich noch eine Chance sehe.“ Nein, die Berliner müssten ran. „Ihre Wettscheu überwinden“, zum Beispiel. Denn: „Pferde wetten heißt Pferde retten.“
Der Trend spricht gegen Boenischs Optimismus. Die Wetteinsätze sinken. Noch nie in den vergangenen 50 Jahren gab es weniger Rennen als 2001. Noch nie standen weniger Pferde in den Ställen von Hoppegarten. Mit dem Niedergang des traditionsreichen Areals sind auch die Rennbahnen in Leipzig und Dresden gefährdet.
Damit der Osten von Boenisch gerettet wird, beendet er kurzerhand das Gespräch. Er müsse jetzt weiter. Er habe zu arbeiten – und schnappt seinen altersschwachen Aktenkoffer. Zieht die Hose noch ein bisschen höher und sagt noch mal ganz deutlich zum Mitschreiben: „Das ist nicht die Aktion von ein paar Pferdespinnern.“
Wir haben verstanden, Herr Boenisch!
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