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Rot-Grün ist reif fürs Museum

Das Bonner „Haus der Geschichte“ hat seine Ausstellung überarbeitet: Die Protestkultur der Achtundsechziger und ihrer Nachfahren erhält ihren Platz

aus Bonn RALPH BOLLMANN

Für Geschichte hat sich Gerhard Schröder lange nicht interessiert – und wenn er es getan hätte, dann wäre dem niedersächischen Ministerpräsidenten mit Juso-Vergangenheit das Geschichtsmuseum im Bonner Regierungsviertel höchst suspekt gewesen, das Helmut Kohl 1994 eröffnete.

Inzwischen ist der Niedersachse Kanzler. Heute Nachmittag eröffnet er die neue Dauerausstellung im Bonner Haus der Geschichte. Schröder eignet sich damit eine Institution an, die durch ihre Entstehungsgeschichte so eng mit dem Namen Kohl verbunden ist wie kaum eine andere.

Dabei kommt das griffige Ausstellungskonzept den Bedürfnissen des Medienkanzlers durchaus entgegen. Geeignete „Fotostationen“ für Schröders Rundgang hat das Protokoll bereits ausgemacht. Unter anderem wird sich Schröder, so ist es jedenfalls geplant, den Kameras mit einem Trabi präsentieren: Das stärkt seine Ostkompetenz und ist folglich fast so gut wie Cousinenbesuch aus Thüringen.

Auch an den übrigen Teilen der Ausstellung dürfte Schröder seine Freude haben. Sie wurde für die Zeit seit 1974 komplett, für die Zeit seit den Sechzigern teilweise überarbeitet. Waren früher Limousine und Eisenbahnwaggon des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer dominierende Großobjekte, so sind jetzt die Insignien bundesdeutscher Protestgeschichte hinzugekommen: Ein Wasserwerfer erinnert an die Demonstrationen der Achtundsechziger, Tür und Zaun des Mutlanger Raketendepots stehen für die Friedensbewegung, ein Umweltlabor repräsentiert das Erwachen des ökologischen Bewusstseins in den Achtzigern.

Beim Blick auf die großen Inszenierungen ergibt sich eine klare Tendenz: weg von der Kohl’schen Sinnstiftung, hin zu einem rot-grünen Geschichtsbild, das stärker von Brüchen geprägt ist – auch wenn sich manch ein Minister nicht gerne an die Pflastersteine erinnern lässt, die in einer Vitrine zu sehen sind. Eine Erfolgsgeschichte bleiben die fünf Jahrzehnte Bundesrepublik in der Ausstellung gleichwohl, oder vielleicht gerade deshalb. Auch wenn die Museumsleute diesen Eindruck gewiss nicht erwecken wollten: Fast scheint es dem Betrachter, als hätten die vergangenen Jahrzehnte auf nichts anderes zugesteuert als auf den Regierungswechsel von 1998. Ob es für die Grünen beruhigend ist, dass sie museumsreif geworden sind, steht auf einem anderen Blatt.

Als das Haus der Geschichte 1994 eröffnet wurde, da waren die Achtziger im rheinischen Bonn noch gar nicht richtig vorbei. Ein musealer Blick auf diese Zeit war folglich gar nicht möglich, zumal immer noch der gleiche Kanzler regierte. Die erneuerte Ausstellung macht nun deutlich, wie sehr das Jahrzehnt schon Geschichte geworden ist. Ein Stadtmodell für Zivilschutzübungen zeigt ein atomar verwüstetes Bonn, und vergilbte Tannenzweige stehen für die Debatte über das Waldsterben: Wer in den Achtzigern aufwuchs, der tat das in der heimeligen Gewissheit, dass es diese Welt ohnehin nicht mehr lange gibt. Mittlerweile wurden diese so apokalyptischen wie fernen Ängste durch konkrete Bedrohungen abgelöst, die am Ende der Ausstellung unter dem Schlagwort Globalisierung nur angerissen werden. Mit dem Thema Einwanderung wagt sich die Ausstellung auf ganz aktuelles Terrain vor. Dabei erfährt der Besucher auch, dass die „Green Card“ gar nicht grün ist – sondern ein blasses Formular mit dem schnöden Aufdruck „Arbeitserlaubnis“.

Schwer zu vermitteln ist die Geschichte Ostdeutschlands vor und nach der Vereinigung. Die Ausstellungsmacher haben die Vitrine mit den Hüten der Politbüromitglieder gekippt: ein Sinnbild für den gesamten Ausstellungsteil über die DDR, der nun stärker auf die Erklärung des Scheiterns ausgerichtet wurde. Dem Rechtsextremismus ist jetzt ein Abschnitt gewidmet – allerdings reichlich knapp in einem jener schwarzen Räume, in denen für jeden Zeitabschnitt das Thema Vergangenheitsbewältigung aufbereitet wird.

Doch vieles von dem, was die neue Ausstellung an politischen Umbrüchen und gesellschaftlichem Wertewandel präsentiert, hat sich nicht unter einer rot-grünen Bundesregierung abgespielt – sondern in der Ära des Dr. Helmut Kohl. Insofern bleibt das Haus auch in seiner neuen Form ein Kohl-Museum. Wenn auch in einem anderen Sinne, als es sich der Gründer vorgestellt hat.

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