Krenz verzeiht sich

Das Buch „Briefe und Zeugnisse“ von Egon Krenz versammelt auf 236 Seiten verschiedene Zeitdokumente aus den Jahren 1991 bis 2000. Enthalten sind Briefe an Gorbatschow, Kohl, Weizsäcker, Stolpe, persönliche Erklärungen vor dem Landgericht Berlin im ersten Politbüroprozess; Briefe der russischen Staatsduma, die sich auch noch im Frühjahr 2000 für den letzten SED- und Staatschefs der DDR einsetzte, der durch erstaunliche Augenringe zu imponieren wusste; Zeugenaussagen und persönliche Erklärungen, die Egon Krenz vor dem Landgericht abgab.

Wer Polittrash oder doch zumindest Texte erwartet hatte, in denen man den ehemaligen Vorsitzenden des Staatsrats und des Nationalen Verteidigungsrates des DDR irgendwie näher kommen würde, wird enttäuscht sein. Das Buch von Egon Krenz, der mit 37 Jahren 1. Sekretär des Zentralrats der FDJ wurde und sich erst mit 46 von diesem Posten verabschiedete, besteht ausschließlich aus offiziellen Dokumenten, mit denen er sich zu entlasten suchte, oder eben Dokumenten, die ihn von dem Vorwurf entlasten sollten, juristisch mitverantwortlich zu sein für die Mauertoten. Neue Argumente gibt es in dieser Sache erwartungsgemäß nicht. Wer zuvor der Meinung war, dass Krenz von einer Siegerjustiz verurteilt wurde, wird dabei bleiben; wer anderer Ansicht ist, wird das Buch vermutlich eh nicht lesen wollen.

Für den historisch Interessierten kommt erschwerend hinzu: Die Lektüre ist unsagbar quälend; möglicherweise handelt es sich bei dem Buch „Briefe und Zeugnisse“ des inzwischen als Freigänger im Außenhandel tätigen Expolitikers um das langweiligste Buch der Welt. Das heißt nicht, dass man Krenz nicht ab und an zustimmen würde, wenn er schreibt, dass die Geschichte der DDR von der „Weltpolitik“ abgetrennt und im herrschenden System als „Geschichte von Verbrechern“ dargestellt werden würde, wenn er immer wieder betont, dass das Grenzregime der DDR nicht souverän war, sondern abhängig von den Wünschen der Sowjetunion, wenn er darauf hinweist, dass die Grenzsicherungen der anderen Warschauer-Pakt-Staaten nicht anders waren als die der DDR. Ob Krenz nun tatsächlich, wie er es darstellt, entschlossener Gorbatschowist gewesen war, mögen Historiker entscheiden.

Die Lektüre ist zudem so quälend, weil es sich um eine zum Scheitern verurteilte diplomatische Mission handelt. Nur manchmal finden sich kleine Perlen, wie ein hübscher Satz, den Egon Krenz an Gorbatschow schrieb: „Ich bin für ein geschichtlich korrektes, menschlich aber auch verzeihendes Zurücklassen unserer Fehler und Schwächen.“ DETLEF KUHLBRODT

Egon Krenz: „Briefe und Zeugnisse“. Verlag Neues Leben, Berlin 2001, 236 Seiten, 24,80 DM (12,68 €)