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„Weinen, aber nicht lachen“

Deutsche jüdischen Glaubens wollen im deutschen Fernsehen nicht mehr nur als Opfer dargestellt werden. So zumindest die Erfahrung von Regisseur Jürgen Nola. Er arbeitet zusammen mit einer Produktionsfirma an einem jüdischen TV-Magazin

von NINO KETSCHAGMADSE

Eine lustige Serie sollte es werden. Über eine jüdische Familie in Deutschland, die keine Ahnung von ihren eigenen religiösen Riten hat und eines Tages von einer großen Erbschaft überrascht wird. Mit dem Geldsegen ist jedoch eine Bedingung verknüpft: Die Erbschaft tritt erst in Kraft, wenn es dem gesandten Rabbi gelingt, der Familie nachhaltig jüdische Traditionen beizubringen. Und so würden die testamentarisch Bedachten plötzlich versuchen, ganz schnell „richtig brave Juden“ zu werden.

Doch Theater- und Filmregisseur Jürgen Nola, der sich den Stoff ausgedacht und schon öfters fürs Erste gearbeitet hatte, bekam von einem Entscheidungsträger der ARD eine klare Absage. „Warum Juden, tun das nicht auch Türken?“ Den Urheber dieses Satzes will Nola nicht preisgeben: Er sei schließlich kein Denunziant und der Betreffende auch kein Antisemit. Der Mann könne bloß, wie viele andere Deutsche, nicht unverkrampft mit „dem jüdischen Thema“ umgehen. Eine ähnliche Erfahrung habe ein Regiekollege beim ZDF gemacht, als er dort vor ein paar Jahren eine Serie über jüdisches Leben vorgeschlagen hat.

Nola ist sich sicher, dass derlei Entscheidungen mit einem sehr irrationalen Problem zu tun haben: „Was passiert, wenn die Sendung nicht läuft und sie abgesetzt werden muss? Dazu hätte dann keiner der Programmverantwortlichen den Mumm, weil er Angst hat, als Judenhasser gebrandmarkt zu werden.“ Abgesehen davon gebe es auch einen „ritualisierten Umgang“ mit dem jüdischen Thema, der da lautet: „Weinen, aber nicht lachen“.

Die Deutschen, die Holocaustüberlebenden und deren Nachkommen aus Schuldkomplexen nicht gegenübertreten können, ohne feuchte Augen zu bekommen, seien so noch weniger in der Lage, für Normalität in den gegenseitigen Beziehungen zu sorgen. „Betroffenheit macht Angst, Angst zeugt von Unfreiheit, und Unfreiheit bedeutet, mit Problemen nicht umgehen zu können“, sagt der Regisseur.

Er fordert deshalb eine unverkrampfte Berichterstattung. Unterstützt wird er dabei unter anderem von dem Schriftsteller Rafael Seligmann und dem Jazzmusiker Coco Schumann. Letzterer findet es ohnedies verwunderlich, dass die Deutschen Probleme damit haben, über Menschen jüdischen Glaubens Witze zu machen. Die Zeiten, in denen Juden pauschal als Opfer darstellt werden, müssten vorbei sein, findet Schumann. Denn Erinnern und Mahnen werde von einem Großteil der Bevölkerung als belehrend und somit als lästig empfunden. Darum gelte es, den Deutschen ihre permanenten Schuldgefühle zu nehmen. Besonders bei den jungen Leuten, die für die Taten ihrer Großeltern „nicht ewig verantwortlich gemacht werden möchten“.

Außerdem gebe es immer wieder die latent antisemitischen Vorwürfe, dass Juden „die Geschichte instrumentalisieren, um dem Staat Geld aus den Rippen zu leiern“. Beim Gedanken an derlei Vorurteile entbricht in Nola leidenschaftlicher Widerstand. Da es die bestehenden Medienformate nicht schaffen, neutral über Juden in Deutschland zu berichten, müsse diese Aufgabe ein jüdisches Magazin übernehmen. Die Zurückhaltung seitens der Jüdischen Gemeinde in Berlin und skeptische Stimmen, die behaupten, dass solch ein Format gar zu einer neuen „Ghettoisierung“ führe, fechten ihn dabei nicht an.

Die Idee für solch ein Magazin ist überdies nicht ganz neu. Bereits vor vier Jahren entstand bei der Fernsehproduktionsfirma Polis Film ein 45-minütiges Pilotprogramm. Nola war von Beginn an bei der konzeptionellen Arbeit beteiligt. „Modern und unterhaltsam“, sollte das Magazin sein. Und so setzte man auf kleine Beiträge über das jüdische Leben in der ganzen Welt. Sich auf Deutschland beschränken, das kam auch für Jürgen Hobrecht von Polis Film nicht in Frage. „Das deutsche Judentum ist ja nicht furchtbar bunt, und so würden wir uns spätestens nach der dritten Sendung wiederholen.“

So bot der Pilot, der auch schon bei einer TV-Messe in Cannes gezeigt wurde, Berichte über New Yorker Straßenmusiker und über eine kleine jüdische Gemeinde in Deutschland, die mit neuen Mitgliedern aus der ehemaligen Sowjetunion umzugehen lernt. Es geht aber auch um das Thema „unerlaubte Liebe“, konkret um die Beziehung zwischen einem jungen Juden und einer „Schickse“, also einer nichtjüdischen Deutschen.

Bereits 1998 hatte Jürgen Nola die fertige Sendung in Bremer Schulen gezeigt. Ohne großen Erfolg. „Das lag aber nicht am Inhalt,“ meint der Regisseur. „Die Kinder wollen einfach nur einen freieren, unkonventionelleren Umgang.“ Ein Wunsch, der auch bei Hobricht Gehör findet: „Wir müssen jünger und schneller werden.“ Das hieße dann: Mehr Musik und mehr unterhaltende Elemente.

Ob ein solches jüdisches Magazin in absehbarer Zeit überhaupt einen Sendeplatz finden wird, ist unklar. Zumindest hat die Produktionsfirma im Sender Freies Berlin eine potenzielle Partnerin: SFB-ChefredakteurinPetra Lidschreiber hatte sich vor einem Monat anlässlich einer Podiumsdiskussion in Berlin mit dem Namen „Die ewigen Opfer – Jüdisches im deutschen Fernsehen“ dieser Idee gegenüber grundsätzlich offen gezeigt. Für eine Zusammenarbeit mit der SFB-Chefredakteurin spricht auch, dass sie nach eigener Aussage keine Schwierigkeiten damit hätte, solch ein Programm abzusetzen, wenn es denn doch nicht laufen sollte.

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