piwik no script img

Das Pogrom von Jedwabne entzweit die Polen

Heute entschuldigt sich Präsident Kwaśniewski für den Mord an Juden. Die gesellschaftliche Debatte hat eine neue Wende genommen

WARSCHAU taz ■ Der neueste Warschauer Witz geht so: „Wann wird Emanuel Olisadebe ein echter Pole sein? Wenn er für Jedwabne um Entschuldigung bittet.“ Die Erklärung ist so einfach wie böse zugleich: „Der aus Nigeria stammende Olisadebe ist Polens Fußballstar Nummer eins. Er ist schwarz. Schuld an polnischen Pogromen kann ihn nicht treffen. Wir Polen sind solche Idioten, dass wir uns sogar für Dinge entschuldigen, die wir gar nicht getan haben.“

Die Diskussion um das Buch „Nachbarn“ des amerikanischen Soziologen Jan Tomasz Gross geht nun schon ins zweite Jahr. Die Frage, ob Polen tatsächlich im Zweiten Weltkrieg mit den Deutschen kollaborierten und dabei halfen, die Juden im eigenen Lande zu ermorden, hat die Gesellschaft bis ins Mark getroffen. Das bisherige Geschichtsbild liegt in Trümmern. Polen waren im Zeiten Weltkrieg nicht nur Opfer, sondern auch Täter.

Vor einem guten Monat noch hielt Konstanty Gebert, Gründer der jüdischen Zeitschrift Midrasz, die sehr kontrovers geführte Debatte für einen Befreiungsschlag. In einem Interview sagte er: „Ich denke, dass es für Polen unglaublich wichtig ist, dass wir in den Spiegel sehen können, ohne Angst zu haben vor dem Schrecklichen, das wir da eventuell in der Vergangenheit entdecken müssen. Polen ist nicht die einzige Nation, die sich die schwarzen Seiten ihrer Geschichte ins Gedächtnis zurückrufen muss. Aber die Diskussion, die leidenschaftlich, aber auch verantwortungsvoll geführt wird, zeigt, dass Polen die Kraft und das Selbstvertrauen zu diesem Blick in den Spiegel bereits hat.“

Doch heute ist Geberts Optimismus nur noch gedämpft. Seitdem die Exhumierung eines Teils der Opfer von Jedwabne abgeschlossen ist, hat die Diskussion eine Kehrtwende vollzogen. Über Schuld und Sühne redet seitdem kaum noch jemand. Denn statt der 1.600 Toten wurden „nur“ die Überreste von 200 gefunden. Außerdem rund 100 Patronenhülsen und zwei Kugeln, die wahrscheinlich aus deutschen Waffen stammen. Damit war für die so genannten echten Polen sofort klar, dass die Überlebenden des Progroms gelogen hatten und die wahren Täter doch die Deutschen waren.

Nicht erwähnt wird, dass das dritte Massengrab auf dem jüdischen Friedhof nicht geöffnet wurde, um die Totenruhe nicht zu stören. Nicht erwähnt wird auch, dass mit zwei Kugeln aus einer Pistole und einem Karabiner nicht zweihundert Menschen erschossen werden können. Oder dass die Patronenhülsen überall im Feld liegen. In Jedwabne verlief zwei Mal im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die Front.

Dennoch hofft der aus den USA stammende Rabbiner von Warschau und Lodz, Michael Schudrich, dass zur Trauerfeier am Dienstag möglichst viele Polen kommen werden: „Vielleicht kann man sagen, dass das höchste Ziel, das wir erreichen könnten, darin besteht, gemeinsam um die Toten zu trauern. Auch wenn wir nicht ganz verstehen, was tatsächlich an jenem Tag in Jedwabne geschah. Die gemeinsame Trauer um die ermordeten Juden von Jedwabne ist ein weiterer Schritt hin zur Versöhnung zwischen Juden und Polen.“

Bereits vor Monaten hat Primas Józef Glemp, das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, seine Teilnahme an der Trauerfeier in Jedwabne abgesagt und dafür einen katholischen Sühnegottesdienst in Warschau abgehalten. Allerdings in einer Kirche, in deren Kellergewölbe sich bis heute die größte antisemitische Buchhandlung Warschaus befindet. Ausgerechnet hier hat der Primas Gott um Vergebung für die Sünde des Antisemitismus gebeten.

Wenn heute, am 60. Jahrestag des Pogroms, bei dem fast alle Juden Jedwabnes ermordet wurden, Staatspräsident Aleksander Kwaśniewski die Juden um Entschuldigung bittet, wird einer fehlen: der Primas von Polen. „Schließlich“, so erklärte er unlängst, „ist die Versöhnung, insbesondere mit der jüdischen Seite, doch ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Nein, ich werde nicht nach Jedwabne kommen. Ich will nicht, dass es dort zu einem Schaulaufen kommt.“

GABRIELE LESSER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen