: Verstümmelung für 1.200 Mark
Erstmals stellt ein Gericht fest, dass ein Arzt in Deutschland sich bereit erklärte, die Genitalien eines Mädchens zu verstümmeln. Seine eigene Klage gegen die Berichterstattung zu seinem Fall überführte den Berliner Gynäkologen Hazem F. – Folgen? Keine
von HEIDE OESTREICH
Der Arzt nimmt einen Brieföffner und zeigt auf das Bild einer Scheide: „Wenn man schneidet, schneidet man so: einen Keil, einen ovalen Schnitt.“ Ein bisschen Schmerzen, das ist selbstverständlich, sagt der Arzt. „Wenn ich ihr eine Spritze gebe, hört der Schmerz auf.“ Das war das Angebot, ein Mädchen in Deutschland zu beschneiden. Etwa 1.200 Mark soll es kosten, diskret durchgeführt in einer Berliner Praxis. „Von meiner Seite: Absolut niemand erfährt etwas“, versichert der Arzt dem Interessenten.
Der Interessent ist ein Lockvogel und filmt den Besuch mit versteckter Kamera. Im März 1999 sendet das ARD-Magazin Report Mainz das Material, den Kopf des Arztes hinter einem schwarzen Ballon unkenntlich gemacht, die Stimme verfremdet. Kurz zuvor hatte Ingrid Lottenburger, damals Abgeordnete der Grünen im Berliner Landtag, Anzeige gegen den Gynäkologen marokkanischer Herkunft erstattet. Sie hatte Hinweise darauf erhalten, dass er Verstümmelungen durchführt. Was in vielen Ländern Afrikas als „schädliche Tradition“ bekämpft wird, heißt auf Juristendeutsch schlicht „schwere Körperverletzung“. Aufgeschnitten und zugenäht – und das sexuelle Empfinden der Frau verkehrt sich ihr Leben lang in Schmerz. Etwa 5.500 Mädchen, Töchter von EinwanderInnen, vor allem aus Afrika, sind auch in Deutschland davon bedroht, schätzt die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Gestern bestätigte das Landgericht Berlin erstmals, dass in der Praxis von Hazem F. diese Straftat angeboten wurde.
Hazem F. hat sich selbst ein Bein gestellt. Denn der Nachweis, dass Ärzte hier genitale Verstümmelungen durchführen, ist kaum zu erbringen. Noch nie haben deutsche Ermittler Zeuginnen gefunden, die bereit waren, gegen Beschneider auszusagen. Auch im Fall Hazem F. wurden die Ermittlungen eingestellt. „Die Mädchen wollen nicht aussagen. Sie würden ihre eigenen Eltern anklagen“, erläutert Ingrid Lottenburger. Die Staatsanwaltschaften müssten sich in solchen Fällen wohl mehr Mühe geben, meint sie. Im Fall Hazem F. endete die Mühe der Staatsanwaltschaft mit der Einstellung der Ermittlungen: Eine Durchsuchung der Praxis hielten die Ermittler für „völlig fern liegend“, die Beschuldigten hätten die Tatvorwürfe bestritten, Zeuginnen hätten nicht zur Verfügung gestanden.
Dem Arzt F. reichte dies nicht. Inzwischen hatte die Presse breit berichtet, der Focus sogar seinen vollen Namen genannt. Der Gynäkologe wollte Schmerzensgeld, mindestens 75.000 Mark. Am – nicht gesendeten – Ende des Gesprächs hätte er deutlich gemacht, dass er für eine solche Operation keinesfalls zur Verfügung stünde. Nur zur Beruhigung des Ehepaares sei er zum Schein auf ihre Anfrage eingegangen, erläuterte sein Anwalt in der Klageschrift. Doch das war dem Gericht wohl zu dreist. Nachdem der Vorsitzende Richter, Michael Mauck, die gesamte ungeschnittene Aufzeichnung gesehen hatte, die deutlich mit der Verabschiedung an der Praxistür und keineswegs mit einer Zurücknahme des Angebotes endet, sah er diese so genannte „Verdachtsberichterstattung“ als zulässig an. „Es besteht zweifelsohne ein hohes öffentliches Interesse an diesen Aufnahmen.“ Und die, so sieht sich der Leiter von Report Mainz, Fritz Frey, bestätigt, hätten sich als die „unmanipulierte Wahrheit“ erwiesen.
Nun hat Hazem F., was er so dringend vermeiden wollte: die gerichtliche Feststellung, dass er Beschneidungen in seiner Praxis angeboten hat. Erneut angezeigt wird er deshalb wohl nicht: Ohne Zeuginnen, so schätzt Ingrid Lottenburger, lohne sich das nicht. Doch gewarnt, hofft sie, sind Ärzte in Deutschland nun allemal.
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