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Für Frieden ist es zu spät

„Schon ein paar Kilometer außerhalb der Stadt ist es wie im Wilden Westen“, sagt eine Verkäuferin. „Nie weiß man, wer die Macht ausübt“

aus Uvira ILONA EVELEENS

Auf der Hauptstraße von Uvira fahren Fahrradtaxis zwischen den Fußgängern Slalom. Autos gibt es kaum, manchmal vergehen Stunden ohne Motorengeräusch. Das ostkongolesische Städtchen, eingeklemmt zwischen dem Tanganjikasee und dem Mitumba-Gebirge, döst in der Sonne.

Offiziell herrscht in der vom Krieg zerrissenen Demokratischen Republik Kongo Waffenstillstand, ein Friedensprozess ist eingeleitet. Aber in dieser Gegend wird täglich geplündert, vergewaltigt und gemordet, weil sich immer mehr bewaffnete Gruppen aus dem Kongo und einigen Nachbarländern hier versammeln. „Es wird erst ruhig, wenn alle Ausländer weg sind“, prophezeit ein Priester, der schon seit Jahrzehnten in der katholischen Kirche von Uvira arbeitet. „Die Bevölkerung ist ihrem Schicksal ausgeliefert.“

Nominell herrscht in Uvira, wie überall im Osten des Kongo, die Rebellenbewegung RCD (Kongolesische Sammlung für Demokratie). An der Macht gehalten wird sie von den Armeen Ruandas und Burundis. Zu der RCD-Allianz gehören auch Milizen der Banyamulenge-Tutsi (siehe Kasten). Alle diese Streitkräfte sind in der etwa 120.000 Einwohner zählenden Stadt zu sehen: die Kongolesen der RCD eher in der Stadt, die Ruander eher am strategisch wichtigen Seeufer, die Burunder eher außerhalb Uviras, Richtung Süden. Es ist schwer, zwischen Ruandern, Burundern und Kongolesen zu unterscheiden. Alle tragen identische Tarnuniformen.

Rebellen und Armeen

Vor den Toren der Stadt endet die Macht der RCD und ihrer Verbündeten. Draußen auf dem Land herrschen die kongolesischen Mayi-Mayi, ein Sammelname für verschiedene Volksmilizen, die sich gegen die Anwesenheit der ausländischen Truppen und der kongolesischen Tutsi wehren. Auch sie haben ausländische Verbündete: die Hutu-Rebellen aus Ruanda und Burundi. Während an den offiziellen Kriegsfronten des Kongo die Waffen schweigen, sammeln sich diese Hutu-Rebellen in den unzugänglichen Bergen im Osten des Landes. Von dort verüben sie Angriffe gegen die Tutsi-dominierten Armeen von Ruanda und Burundi.

Fast alle Hilfsorganisationen haben die Region um Uvira verlassen. Nur das Internationale Rote Kreuz (IKRK) hat noch ein Büro in der Stadt. Es kann wenig ausrichten. „Wie die Lage einige Kilometer außerhalb der Stadt ist, wissen wir nicht genau“, erzählt ein Mitarbeiter. „Dahin zu gehen, ist zu gefährlich. Aber wir hören ab und zu von Flüchtlingen, dass die Situation schlecht ist.“ Seine Frau und seine Kinder hat er ins Ausland geschickt.

Eine Fahrt über die Straßen aus Uvira Richtung Norden oder Süden ist, als spielte man russisches Roulette. Was Hutu-Rebellen und Mayi-Mayi-Milizen zum Überleben brauchen, stehlen sie der Bevölkerung. „Unsere Männer werden ermordet, unsere Kinder schließen sich beliebigen Gruppen an“, erklärt Aimée Ndaye, die Vorsitzende einer lokalen Frauenorganisation. „Wir Frauen arbeiten auf den Feldern außerhalb von Uvira. Dort ist das Risiko groß, überfallen oder vergewaltigt zu werden. Die Verbrechen melden wir zwar den Behörden. Aber die Täter bleiben meistens unbestraft. Schließlich sind sie auch oft RCD-Mitglieder oder ruandische oder burundische Soldaten.“ Sicher ist nur der Weg nach Osten, über die nahe Grenze nach Burundi, dessen Hauptstadt Bujumbura direkt hinter der Grenze liegt. Aber Burundi ist zu teuer für die Kongolesen; nur wenige gehen dorthin, hauptsächlich, um dort ihren Rohzucker zu verkaufen.

Die Friseure bleiben

Trotz der desolaten Lage gibt es in Uvira kaum Hunger. Kongo ist ein fruchtbares Land, der See bietet reichlich Fisch. Aber Gemüse wird manchmal knapp. „Die Zufuhr hängt von der Sicherheitslage ab“, erzählt eine Marktverkäuferin. „Schon ein paar Kilometer außerhalb der Stadt ist es wie im Wilden Westen. Nie ist sicher, wer die Macht ausübt in einer Gegend.“ Ihr Laden ist ein Tuch auf der Erde am Straßenrand. Im Angebot: Bohnen und Zwiebeln.

Wenige Einwohner in Uvira haben Arbeit. Die meisten Betriebe sind geschlossen. Nur die Bierbrauerei funktioniert. Außerdem gibt es zahlreiche Friseure – Krieg oder nicht, die Kongolesen bleiben eitel. Einer der Friseure arbeitet unter einem großen farbigen Regenschirm am Straßenrand. Daran hängt ein Stück Pappe, auf dem in roter Farbe der Name „Tyson“ steht. Die Kunden setzen sich auf kleine Hocker. „Keiner hat Lust, ein Geschäft zu öffnen“, erzählt der Friseur. „Immer wieder wird geplündert. Aber meine Scheren und Spiegel sind glücklicherweise nicht so beliebt.“

Wie groß die Zahl der Flüchtlinge in Uvira ist, weiß keiner genau. Einige tausend sind es mindestens. Die meisten haben bei Angehörigen Unterkunft gefunden. Auch eine Gruppe Banyamulenge-Tutsi ist aus den Bergen nach Uvira geflüchtet. Sie leben in einer Art Ghetto neben den Büros der RCD-Behörden. Es ist keine schlechte Gegend, lauter große Häuser am Ufer des Tanganjikasees. Aber die Banyamulenge trauen sich selten ohne bewaffnete Begleitung auf die Straße. Sie fürchten einen Genozid.

Denn der Hutu-Tutsi-Konflikt, der die gesamte Region der Großen Seen Afrikas bestimmt und sich von Ruanda und Burundi aus in den Kongo ausgedehnt hat, beherrscht auch die Kriegslage in Uvira. Die 400.000 kongolesischen Banyamulenge-Tutsi werden von den anderen Ethnien als Fremdlinge angefeindet. „Sie holten die Truppen aus Ruanda und Burundi ins Land, sie sind verantwortlich für das Massenmorden hier“, sagt Ferdinand Ijumaa. Er gehört zur Ethnie der Bafulero und flüchtete vor zwei Jahren nach Uvira. „Die Milizen der Banyamulenge plünderten mein Dorf. Ich besitze nichts mehr. Sie nahmen selbst meine Kleider. Die Tutsi sind unsere Feinde. Wenn sie nicht zurückkehren nach Ruanda, rotten wir sie aus.“

Die Banyamulenge fühlen sich allein gelassen. Philippe Gasambo, einer der Stammesältesten der Banyamulenge, sagt: „Jeder hat uns benutzt. Wir haben das Land von Mobutu befreit, und was ist der Dank dafür? Jeder hat sich gegen uns gewandt.“ Sein Handy klingelt. Er spricht eine Weile. Dann berichtet er aufgeregt: „Heute Morgen gab es einen Angriff auf ein Banyamulenge-Dorf in den Bergen. Fünf Tote und vier Verwundete. So geht es täglich. Ein Freund von mir wurde bei einer Straßensperre außerhalb Uviras aus dem Bus geholt. Sie schnitten ihm den Penis ab.“ Ein anderer Banyamulenge fügt mit Tränen in den Augen hinzu: „Meinem Bruder haben sie die Nase abgeschnitten.“

Von Versöhnung zu reden, ist schwer in Uvira. Ein Pfarrer der protestantischen Ebenezer-Kirche schließt die Tür seines Büros und sagt leise: „Die Ruander und Burunder sollen abhauen. Sie machen unsere Lage bloß komplizierter. Wir müssen uns mit unseren Nachbarn versöhnen.“ Das soll seiner Meinung nach auf traditionelle afrikanische Weise geschehen: „Alle Stammesältesten sammeln sich unter einem schattigen Baum. Wir schlachten eine Kuh und trinken Bier. Dann reden und reden wir, bis wir eine Lösung gefunden haben.“

Das ist leichter gesagt als getan. Ein pensionierter Lehrer, Mitglied des Bavira-Volkes, sagt: „Es ist zu spät für Friedensgespräche zwischen uns Kongolesen und den Banyamulenge. Früher hatte ich viele Banyamulenge-Freunde. Wir teilten uns das Essen und ab und zu das Bett. Aber sie haben uns ins Unglück gestürzt. Sie, und sie alleine, sind verantwortlich für den Krieg hier. Ich kann ihnen nicht mehr verzeihen.“

Die RCD-Behörden versuchen die explosive Situation zu verheimlichen. Journalisten werden offiziell nicht nach Uvira gelassen. Ausländische Besucher bekommen einen ständigen Begleiter. „Zum Schutz“, erklärt Albert Mwami Mukogabwe, Leiter der zivilen Abteilung der RCD in Uvira. „Zur Spionage“ wäre näher an der Wahrheit.

Dazwischen liegt Dschungel

Der Funktionär hat eine andere Frage: Warum schickt die UNO, die inzwischen überall im Kongo Blauhelme stationiert hat, keine Friedenstruppen nach Uvira? „Hunderte UN-Soldaten sind im Kongo. Sie beobachten, ob die Kriegsparteien sich an den Waffenstillstand halten. Rund um Uvira verstecken sich tausende von Hutu-Rebellen – aber kein einziger UNO-Mann ist hier, um darauf zu achten, dass sie uns nicht angreifen.“

Mukogabwe traut dem neuen Präsidenten Joseph Kabila genauso wenig wie dessen ermordetem Vater Laurent Kabila. „Den Leuten in Kinshasa geht es doch bloß um den eigenen Vorteil“, meint er. „Außerdem liegt zwischen den Kivu-Provinzen und der Hauptstadt ein undurchdringlicher Dschungel. Wir sind zwar alle Kongolesen, aber wir leben in verschiedenen Welten.“

Uvira ist isoliert. Nachts leuchten die Lichter der burundischen Hauptstadt Bujumbura über den See hinüber. Die kongolesische Kleinstadt liegt im Dunkeln.

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