: Politisch ist sie erst im Tod
Was als Suche nach dem Motiv für den Freitod Hannelore Kohls begann, ist inzwischen ein Kulturkampf um die Rolle ihres Mannes. Seine Freunde und Gegner in den Medien stehen sich in alter Formation gegenüber: Hier „Bild“, dort „Stern“
von PATRIK SCHWARZ
Gut sechs Tage lagen zwischen Hannelore Kohls Freitod in der Nacht auf den vergangenen Donnerstag und ihrer Beisetzung am gestrigen Mittwoch in Ludwigshafen. Sechs Tage haben ausgereicht, um Hannelore Kohl zu dem Politikum zu machen, das sie zu Lebzeiten nie war.
In den ersten drei Tagen, nachdem die Ehefrau des Exbundeskanzlers tot aufgefunden wurde, herrschte in den öffentlichen Reaktionen die Pietät vor, dann kam die Politik ins Spiel. Seitdem wird in den Medien der Republik eine Auseinandersetzung geführt, die als eine Suche nach Frau Kohls Motiven begann, aber zunehmend zum Kulturkampf um die Rolle Helmut Kohls wird. Im Zentrum steht die Frage, ob den Ehemann Schuld am Freitod der Ehefrau trifft.
Den bisher schwersten Vorwurf gegen Kohl erhob der Chefredakteur des Stern, Thomas Osterkorn: „Warum hat er sich lieber in die Berliner Politik eingemischt, wo ihn keiner haben will, anstatt bei seiner schwer kranken Frau in Oggersheim zu sein, wo er dringend gebraucht worden wäre?“ Die Titelgeschichte des Magazins liest sich in Teilen wie eine Anklageschrift wegen unterlassener Hilfeleistung durch den Exkanzler, zumal sie die Lichtallergie als Auslöser von Frau Kohls Selbstmord in Zweifel zieht. Auch der Spiegel stellt die Frage nach einer moralischen Mitschuld Kohls, allerdings deutlich zurückhaltender. Beide Zeitschriften widmeten dem Thema so viel Platz wie keinem anderen „unpolitischen“ Toten seit Lady Di.
Als hätten die Verteidiger Kohls mit diesen Vorwürfen gerechnet, hat die Bild am Sonntag bereits vorgebaut. Sie nimmt Kohl in Schutz mit einer Schlagzeile, die den Abschiedsbrief der Ehefrau zitiert: „Ich habe dich immer sehr geliebt.“ Am Montag folgt Bild mit dem Aufmacher „Verzweifelt kämpfte Kohl für seine Frau.“ Als Beleg heißt es: „Um seiner Frau zu helfen, schaltete Kohl sogar Ex-US-Außenminister Henry Kissinger ein!“ Er sollte einen Spezialisten für die Lichtallergie finden. Das Private von Tat, Motiv und Umfeld ist somit nicht nur öffentlich geworden, sondern politisch. Dazu beigetragen haben Kohls Freunde wie Gegner gleichermaßen. Beide Seiten versuchen, einmal mehr ihrem Bild von Helmut Kohl zum Sieg zu verhelfen. In der Folge ergeben sich auffällige Parallelen zur CDU-Spendenaffäre: Ankläger und Verteidiger stehen auf denselben Seiten wie damals – und denken übereinander in denselben Klischees wie einst. Das vermeintliche „Linkskartell“ der Hamburger Magazine steht einer Springer-Presse gegenüber, die zu ihrer alten Kohl-Treue zurückgefunden zu haben scheint.
Mag sein, dass es links und rechts nicht mehr gibt. Doch zeigt sich am Fall Kohl mal wieder, wie groß in Deutschland die Neigung ist, im Einzelnen das Grundsätzliche zu suchen. In derselben Tradition wurden die Steinwürfe aus Joschka Fischers Vergangenheit zu einer Debatte über die Zukunft der deutschen Außenpolitik gemacht. Verblüffend ist daran vielleicht nur, dass die Akteure, die heute die Debatte anheizen, alle aus derselben Generation stammen. 68 mag ein Generationenkonflikt gewesen sein, heute streiten die Kinder Kohls untereinander.
Bild und Stern führen die Kontroverse am schärfsten – und mit hochgeklapptem Visier. Der Stern-Chefredakteur platzierte seinen Vorwurf in einem Editorial mit Bild und handschriftlichem Gruß („Herzlichst Ihr Thomas Osterkorn“). Der Chefkolumnist der Bild, Franz-Josef Wagner, erwiderte gestern in seiner Kolumne „Post von Wagner“ im selben Stil: „Liebe ‚Stern‘-Chefredakteure“, schrieb er, „ich werde mir niemals mehr den ‚Stern‘ kaufen.“
Helmut Kohl hat Freunde wie Gegner immer dazu gereizt, an ihm die Richtigkeit der eigenen Weltsicht zu beweisen. Beiden Seiten dient jetzt als Kronzeugin Hannelore Kohl.
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