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Das rote Tuch

Rockfibel statt Mao-Bibel: Aus Protest stand Cui Jian 1989 mit Trompete und verbundenen Augen auf dem Tiananmen-Platz in Peking. Heute möchte er jedoch viel lieber als die Rocklegende Chinas gelten

von DANIEL BAX

Auf dem Weg vom Flughafen Charles de Gaulle ins Stadtzentrum sitzt ein junger Chinese im Zubringerbus und studiert den Stadtplan. Er trägt einen akkuraten Kurzhaarschnitt, ein Polohemd und eine Brille, die ihn als Studierten ausweist. Wie sich später herausstellt, ist er Software-Entwickler eines privaten Fernsehkanals in Peking und unterwegs zu einem Business-Meeting in Paris. Wir kommen ins Gespräch, und irgendwann frage ich ihn nach Cui Jian, dem namhaftesten Rockstar seines Landes. Doch vielleicht hört der junge Computerspezialist keine Rockmusik oder meine Aussprache des Namens ist zu falsch, jedenfalls muss er passen – bedauernd zuckt er die Schultern: Nein, den kennt er leider nicht.

Am Abend ist der „Divan du Monde“, ein kleiner Konzertsaal unweit der Place Pigalle trotzdem gut besucht. Wenn man aber bedenkt, wie viele Millionen Einwohner Paris hat und dass auch die Zahl der Chinesen in der Stadt nicht gering sein dürfte, ist der Andrang allerdings nicht gerade gewaltig. Auslandschinesen und Sinologiestudenten, die sogar die Refrains mitsingen können, teils neugierige Franzosen hat es zum Konzert von Chinas Rocklegende Nummer eins verschlagen, dem zweiten in Folge am gleichen Ort. Fremd ist lediglich die Sprache, in der Cui Jian singt, seine Musik klingt wenig exotisch: anspruchsvolles Rockschaffen, mit Ausflügen Richtung Rap oder Bluesrock. Chinesische Traditionen werden nicht zitiert, wie der Veranstalter auf seinen Werbepostkarten fälschlich hat verlauten lassen. Nur einmal greift der Saxofonist zur Bambusflöte, ansonsten ist hier keine Weltmusik zu holen. Doch mit seinen Ansagen und Scherzen hat Cui Jian zumindest die, die ihn kennen, bald hinter sich gebracht. Die anderen versucht er mit einzubeziehen, indem er die Anspielungen seiner Lieder erklärt. Nicht immer mit Erfolg: Auch nach mehreren Anläufen weiß man nicht so genau, was nun die „Eier unter dem roten Banner“ zu bedeuten haben.

Dabei soll die aktuelle Europa-Tournee des Rockpioniers aus Peking gerade auch Nichtchinesen aufmerksam machen auf den Ausnahmekünstler aus Fernost. „Ich versuche mein Bestes, um den Inhalt meiner Texte zu übersetzen“, erklärt Cui Jian am nächsten Tag. Mit seinem modischen, olivgrünen T-Shirt wirkt er im Eckcafé an der Place Pigalle wie ein Hipster unter vielen. Doch so einfach ist das nicht mit der Übersetzbarkeit der Codes. Wer im Westen kennt schon auf Anhieb das Mao-Wort vom Dorf, das die Stadt angreift – ein Slogan aus der Zeit der Kulturrevolution? Cui Jian hat einen seiner Songs danach benannt, den er, ironisierend, im bäuerlichen Akzent vorträgt. Aber, auch das, wer merkt das schon?

Gegenkultur der Städter

Und steht er nicht mit seiner Musik eher für den Angriff der Stadt aufs Land? Schließlich ist Rockmusik in China ein rein urbanes Phänomen, auf die großen Städte beschränkt? Da muss Cui Jian lachen, die Idee gefällt ihm. Doch die Suche nach tieferem Sinn lehnt er ab: „Das ist nur ein Witz, Nonsens“, wiegelt er ab. Überhaupt redet er nicht so gerne über Politik: „Die meisten studierten Leute in China reden nicht gerne über Politik“, stellt er fest, und ausweichend meint Cui Jian: „Jeder hat seine Ängste.“ Das ist nicht nur Vorsicht oder Koketterie. Denn Cui Jian zehrt davon und hadert doch zugeich damit, immer auf die Rolle als Sprachrohr der Gegenkultur festgeschrieben zu werden und auf das Image einer Ikone der Studentenbewegung von 1989. Dabei kann man von ihm nicht sprechen, ohne auch auf seine Generation zu kommen, die Kinder von Mao und Coca Cola. Als Kind in den 60ern mit den Propagandaparolen der Kulturrevolution aufgewachsen, erlernte Cui Jian vom Vater, der als Musiker in der Volksarmee diente, das Spiel der Trompete. Sieben Jahre lang gehörte er sogar Pekings Sinfonieorchester an, doch in dieser Zeit übte er schon seine ersten Akkorde auf einer geschenkten E-Gitarre. Es war die Zeit der liberalen Reformen unter Deng Xiaoping, und mit der allmählichen Öffnung kamen auch westliche Gruppen wie Wham! ins Reich der Mitte.

Beeindruckt von deren Show gründete Cui Jian seine eigene Band und nahm das Stück „Nothing To My Name“ auf, das später zu einer Hymne der Studenten vom Tiananmen-Platz werden sollte. 15 Tage, bevor die Panzer aufrollten, intonierte Cui Jian dort als einsamer Trompeter mit demonstrativ verbundenen Augen sein Lied „Ein Stück rotes Tuch“. Der Refrain lautet: An jenem Tag nahmst du ein Stück rotes Tuch, um meine Augen und den Himmel zu verdecken / du fragst mich, was ich sehe / Ich sage, ich sehe ein günstiges Schicksal.“ Zwei Wochen später färbten die Panzer den Platz tatsächlich rot, und vom optimistischen Aufbegehren blieben nur symbolische Bilder – wie jenes des Trompeters mit den verbundenen Augen.

Pop-Muzak statt Rock

Heute sind die dunkelsten Jahre der Repression, die folgte, zwar schon wieder Geschichte. Es folgte die Ära des wirtschaftlichen anstelle des politischen Aufbruchs. Doch die Rockmusik ist in China trotzdem Subkultur geblieben: Sie bewegt nicht wie im Westen die Massen, der große Sprung nach vorn blieb ihr versagt. Während seichte Popkonfektion aus Taiwan und Hongkong ins Land flutete, sah sich Pekings Rockszene weiter an den Rand gedrängt. Dass Musik mehr sein kann als Unterhaltung, ein Ventil für Frustrationen statt bloß Schaumbad zur Entspannung, geriet im Zuge dieser Muzak-Offensive fast in Vergessenheit. Erst Avantgarde, nun Außenseiter – so fanden sich die Pioniere des Rock-Undergrounds, Gruppen wie Tang Dynasty, die Frauenband Cobra oder eben Cui Jian, zum Zuschauen oder Mitmachen verdammt – während ihre Altersgenossen in die innere Emigration oder ins Gefängnis gingen, zum langen Marsch durch die Institutionen ansetzten oder aber in Chinas New Economy schnelles Geld machten.

„Ich konzentriere mich heute mehr auf die Realität“, sagt Cui Jian. „Früher hatte ich eine romantischere Einstellung.“ Von der Rolle des vermeintlichen Protestsängers hat er sich emanzipiert, doch musste er erst neue Überlebensstrategien entwickeln. Auftrittsverbote sind zwar nicht mehr die Regel, doch für die Behörden, gerade der großen Städte, wo er seine größte Gefolgschaft besitzt, ist er noch immer ein rotes Tuch. Erst im vergangenen Jahr durfte er erstmals in Pekings riesigem Arbeiterstadion auftreten – im Rahmen eines offiziellen Konzerts gegen CD-Raubkopien. Copy kills music – in China kann man das ruhig wörtlich verstehen, ist dort das Piratennetzwerk doch vermutlich größer als die Musikindustrie selbst. Den Schaden tragen die Musiker, die allein von ihren Auftritten leben müssen, von Sponsoring-Verträgen und Engagements im Ausland.

Rockmusik, die sich politischem und kommerziellem Druck verweigert, hat da einen schweren stand. Trotz MTV und Star TV, die über Satellitenschüsseln auch in China empfangen werden, „kann man im Fernsehen Rockmusik noch heute kaum sehen“, sagt Cui Jian. Dass er sich unter diesen Umständen seine künstlerische Freiheit hat bewahren können, verdankt er allein seiner Sonderstellung. Sein Vertrag mit einer Plattenfirma in Hongkong lief erst kürzlich aus. Dafür verfolgt er dort noch andere Projekte: So schrieb er die Musik für einen Hongkongfilm, der dieses Jahr in Cannes vorgestellt wurde; außerdem gibt es von ihm ein Tanzmusical, das in der ehemaligen Kronkolonie anfang des Jahres Premiere hatte. „Show Your Colours“ hieß das Stück, in dem er, durch eine Nachbildung der chinesischen Mauer brechend, seinen Einstand auf der Theaterbühne gab.

Geisterfahrer aus Peking

Gerne würde Cui Jian auch die Schallmauer überwinden, die China noch vom Westen trennt. Während sich die Schleusen öffnen und China von der Popkultur des Westens überschwemmt wird, rudert Cui Jian in die entgegengesetzte Richtung – trotzig und entschlossen wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn. Als Kosmopolit, dessen Tochter eine internationale Schule besucht und schon fließend Englisch spricht, mag er nicht einsehen, warum er als Quereinsteiger nicht auch mitmischen sollte im großen Konzert der internationalen Rockmusik. Nur wenn er von seinen Reisen zurückkehrt, wird ihm bei der Landung in Peking wieder bewusst, wie groß der Abstand zwischen den Welten noch ist, gerade auch kulturell. „Peking ist tot im Vergleich zu New York“, bedauert er, „es gibt kaum Clubs mit Live-Musik. Nur Karaoke, überall.“

Auch eine gewisse Entfremdung von der eigenen Gesellschaft schlägt da durch. Bei seinem Auftritt im „Divan du Monde“ prangert Cui Jian mehr als einmal die neue Realität Chinas an: den allgegenwärtigen Materialismus, der sich jedes Jahr insbesondere beim Neujahrsfest manifestiert – „nur Essen und Trinken und schlechtes TV-Programm, es ist einfach ekelhaft“ – und wo man sich gegenseitig baldigen Reichtum wünscht. Oder den Eskapismus der Jugend, der den einstigen Idealismus abgelöst zu haben scheint. „Nehmt keine Drogen“, ermahnt er sein Publikum in Paris, dass solches Ansinnen eher amüsiert zur Kenntnis nimmt. Zum Schluss seines Konzerts hat sich Cui Jian eine besondere Überraschung aufgehoben. Da bittet er einen Straßenmusiker auf die Bühne, den er am Nachmittag vor dem Centre George Pompidou entdeckt hat. „15 Minuten stand ich dort, dann hat er mich angesprochen“, staunt der junge Chinese hinterher, der auf der Bühne ein Stück von Brel vorträgt und gleich noch eine Blues-Nummer hinterher. Auch er wusste zunächst nicht, um wen es sich bei seinem Gönner und Gastgeber handelte. Nun weiß er es.

Cui Jian spielt heute Abend im Berliner Tempodrom. Nächste Konzerte: 19. 7., Hamburg Fabrik; 21. 7., Vella/Schweiz

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