: Braune Flecken im Visier
Nach Jahrzehnten der Ignoranz will der Deutsche Fußball-Bund (DFB) endlich die Geschichte des Verbandes in den Jahren des Nationalsozialismus von Sporthistorikern aufarbeiten lassen
von ERIK EGGERS
Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) besaß schon immer ein recht eigenwilliges Verständnis von Geschichte. Peco Bauwens, zwischen 1950 und 1962 DFB-Präsident, etwa war sich nach 1945 sicher über die Rolle seines Verbandes zur Zeit der NS-Schreckensherrschaft: „Ja, die Nazis, denen haben wir es gezeigt, wo es im Fußball langgeht.“ Einen Nachweis der Widerstandsfähigkeit seiner Funktionärskollegen indes lieferte er nicht – das wäre ihm vermutlich auch reichlich schwer gefallen.
Gut 50 Jahre später hat sich der DFB nun endlich entschlossen, die Geschichte des Verbandes in den Jahren 1933 bis 1945 genauer untersuchen zu lassen. Auch wenn der Vertrag laut Auskunft des DFB-Archivars Oliver Tietz noch nicht in trockenen Tüchern ist – in den nächsten vierzehn Tagen werden die Einzelheiten geklärt –, in zwei bis drei Jahren soll eine von unabhängigen und seriösen Historikern geschriebene DFB-Geschichte für die Zeit des Nationalsozialismus vorliegen.
Bisher war der offizielle Grundtenor, dass der Fußballbund als unpolitische Organisation frei von braunen Flecken geblieben sei. Und doch kam es gelegentlich zu Dissonanzen: Als der Rhetoriker Walter Jens beim Jubiläumsakt 1975 zur „politischen Bestandsaufnahme“ der Verbandsgeschichte aufrief, da wurden die auf festliche Stimmung getrimmten Gesichter der DFB-Herren lang und länger. Es sollte die letzte Einladung für den kritikfreudigen Professor bleiben.
Beim 100-jährigen Jubiläum im Januar letzten Jahres, das standesgemäß mit Pomp und Pathos in Leipzig gefeiert wurde, geriet der DFB in ein gehöriges Dilemma. Denn die vorab veröffentlichte 620 Seiten starke Festschrift „Hundert Jahre DFB“, geplant als glanzvolle Dokumentation der ganzen deutschen Fußballpracht, hatte zahlreiche Kritiker auf den Plan treten lassen, weil der Wälzer zu einem blanken Euphemismus mutiert war. Davon, dass sich der Gründungspräsident Ferdinand Hueppe zuweilen zu antisemitischen Äußerungen hinreißen ließ: Kein Wort. Die Artikelserie des ersten Trainers des Verbandes, Dr. Otto Nerz, die 1943 die „Gefahr der Verjudung“ zum Gegenstand hatte: in Nebensätzen verhandelt. Das Zitat des deutschnationalen DFB-Präsidenten Felix Linnemann aus dem März 1933, der Kampf gegen den Bolschewismus werde sich als Frühling der westlichen Kulturstaaten erweisen: verschämt unterschlagen. Es waren keine marginalen Schönheitsfehler, die diesem ambitionierten Buch mit Goldumschlag passierten. Es war schlichtweg ein Offenbarungseid.
Nachdem auch noch ein maliziöser Spiegel-Artikel vier Tage vor dem Jubiläum beschrieb, wie die Frankfurter Fußballbehörde interessierten Historikern den Zugang zum Hausarchiv verwehrte, nutzte Bundespräsident Johannes Rau in Leipzig die sich bietende Gelegenheit zur erneuten Mahnung. Die Worte des obersten Bundesbürgers schmerzten dieses Mal so sehr, dass sich der DFB endlich in Bewegung setzte und den Willen zur Aufarbeitung verkündete. Den Auftrag bekam Klaus Hildebrand aus Bonn, ein so renommierter wie in der Zunft umstrittener, weil sehr konservativer Historiker. Sein Schüler Nils Havemann aus Mainz erstellte in einem halben Jahr ein Konzept, das dem DFB Ende Juni vorgelegt wurde. Havemann, der zu Beginn seiner Arbeit das wichtigste Motiv der DFB-Untersuchung frank und frei formulierte („Der Druck von außen war sehr groß.“), recherchierte in 40 Archiven und hat nach Verbandsangaben „Unterlagen ermittelt, die der Forschung über die Rolle des DFB in der Zeit des Nationalsozialismus unbekannt waren“.
Mit der auf Grundlage dieses Papiers geplanten Untersuchung ziehen die Fußballfunktionäre endlich nach, denn fast alle Sportverbände verfügen bereits über historische Darstellungen, die auch die umstrittenen zwölf Jahre des NS-Regimes nicht ausblenden.
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