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Das emotionale Mc-Donald’s-Prinzip

Die Kunststipendiaten der DG Bank, Julian Rosefeldt und Corinna Schnitt, zeigen im Künstlerhaus Bethanien eine Welt aus Entertainment und Freizeit

Bei Schnitt sind die Menschen von einer allzu praktischen Welt umzingelt

von HENRIKE THOMSEN

Wenn das Menschheitspathos in der Kunst tatsächlich ein Comeback erlebt und nicht nur ein Werbegag für Harald Szeemanns „Plateau“-Biennale in Venedig gewesen ist, dann hat nun auch Julian Rosefeldt auf das richtige Pferd gesetzt. In der neuen Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien, die wie jedes Jahr die Kunststipendidaten der DG Bank Frankfurt präsentiert, ist er mit der Videoinstallation „Global Soap“ vertreten.

Rosefeldt hat Seifenopern aus 35 Ländern auf ihre Pathosformeln untersucht. Auf vier nebeneinander flackernden Bildschirmen kann man vergleichen, wie Schauspieler aus allen Satellitenprogrammen der Welt denselben stereotypen Gefühlsausdruck an den Tag legen. Die Hände über den Mund zusammenzuschlagen und die Augen weit aufzureißen etwa bedeutet Entsetzen. Melancholische Heldinnen halten den Kopf schräg wie Lady Di; reuige Helden setzen den Schulbubenblick von Bill Clinton auf.

„Global Soap“ versucht nichts weniger, als eine Typologie der Affektausdrücke zusammenzustellen, die zu den Serien genauso gehören wie die Standard-Plots um Liebe und Intrige. Doch dass solche Formatproduktionen von einem emotionalen Mc-Donald’s-Prinzip regiert werden, ist keine Überraschung. Nach fünf Minuten Zappen kommt man auf die gleiche These, für die Rosefeldt so akribisch Belege versammelt. Die interessanten Implikationen jedoch bleiben ausgerechnet außen vor. Wie werden etwa Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit durch die Geschlechterzuschreibung bestimmter Affekte hergestellt? Wie zeigt sich im Universaldiskurs der Gesten die Kulturhegemonie des Westens, auf dessen Affektlehre – von den Ausdrucksstudien des Barock über die Sittenbücher des 19. Jahrhunderts bis zum frühen Film – die Soaps immer noch aufbauen?

Um solche Fragen differenzierter aufzuzeigen, hätte Rosefeldt auf ergänzendes historisches Bildmaterial zurückgreifen müssen. Man bedauert, dass eine so gute Idee nur eine unbefriedigende Fleißarbeit hervorgebracht hat.

Ganz anders dagegen die hintergründigen Videos und Fotos von Corinna Schnitt, die als zweite Stipendiatin von der DG Bank unterstützt wurde. Unter dem Motto „Freizeit“ setzt sich auch Schnitt mit dem formelhaften, leer laufenden Erstarren von Lebens- und Ausdruckwelten auseinander. Doch zeigt sie ihre Figuren zugleich in einer seltsam mechanischen Geschwätzigkeit und von einem surrealen Kokon des Schweigens umgeben. In „Das schlafende Mädchen“ wandert die Kamera langsam durch eine verlassene holländische Siedlung, deren Häuser an eine Filmattrappe erinnern. Im Inneren eines Wohnzimmers landet der Blick auf Vermeers Bild einer jungen Frau, die am Tisch eingenickt ist. Das Telefon klingelt, ein Versicherungsvertreter rasselt eine Anfrage herunter.

Reuige Helden setzen in Rosefeldts Video den Schulbubenblick von Bill Clinton auf

Scheinbar selbstverständliche Momente ergeben in der Zusammenschau ein so profundes Fragezeichen auf, als hätte eine moderne Sphinx ein Bilderrätsel gestellt. In einem anderen Foto vom Europaplatz in Aachen verweist Schnitt auf eine Glanzleistung urbanistischer Fehlplanung. Ein See mit zahlreichen sprudelnden Fontänen liegt inmitten eines Kreisverkehrs. Schnitt hat eine Frau im Badeanzug in der Bildmitte platziert. Die nackte Rückenansicht des Modells macht den verschenkten Freizeitwert des Sees beredt, akzentuiert zugleich aber die stumme Unbehaustheit eines Orts, der sonst Autos vorbehalten ist.

In solchen fein changierenden Beobachtungen fängt Schnitt die Wechselwirkung zwischen Menschen und ihrer Umgebung ein. Eine Atmosphäre von Einsamkeit und Entfremdung herrscht vor, doch umzingelt von einer allzu praktischen Welt, bewahren sich ihre Protagonisten trotzdem Poesie und Humor.

Die Struktur von Räumen erhält bei Schnitt (einer gelernten Schnitzerin) im Gegensatz zu Rosefeldt, der Architektur studiert hat, einen hohen Stellenwert. Sie achtet auf die funktionale Architektur eines Hochhauses nicht weniger als auf die nüchterne Sprechweise seiner Bewohner. Pathos und Leidenschaftlichkeit werden so sorgfältig gemieden, dass hier sich die Frage viel dringender und überzeugender stellt, wo Gefühle in der herrschenden gesellschaftlichen Semantik eigentlich ihren Platz haben.

Bis 5. 8., Mi.–So. 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2

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