: Ausgestopftes bis in alle Ewigkeit
taz-Serie „Schrille Läden“ (Teil 5). Ob die Siamkatze oder die Wildsau, der Tierpräparator macht tote Tiere lebendig
Die Situation ist bekannt: Bisweilen braucht man einen Wolf als Haustier. Ein zahmes Wesen, das einem klug, in Phasen der Melancholie vielleicht schwermütig zur Seite steht. Auch ein anderes Steppentier könnte es sein: ein flinkes Zebra, eventuell sogar ein plumpes Gnu. Hauptsache, das Tier ist groß und eine Spur geheimnisvoll. Doch solche schönen Tiere leben meist in anderen Regionen, in Kenias weiten Parks etwa. In Berlin sind Wildtiere dagegen nur selten zur Stelle, wenn die Sehnsucht nach ihnen ruft. Zoologischer Garten und Tierpark Friedrichsfelde leisten allenfalls deprimierende Nothilfe. Wirkliche Nähe kann sich durch Gitterstäbe kaum aufbauen.
Mit Geld lassen sich jedoch auch in dieser Stadt noch Kompromisslösungen finden. Wilde Tiere, zwar tot, aber mit lebendiger Vergangenheit und natürlicher Ausstrahlung, hat beispielsweise der Friedenauer Tierpräparator Michael Weiß im Angebot. In seinem Geschäft kann jeder sein persönliches Lieblingstier kaufen oder mieten. Die Ausleihgebühr für eine Woche Alaskawolf beträgt 400 Mark, wer einen Fisch erwerben will, bekommt einfache Sorten bereits ab 150 Mark. Desgleichen stehen ausgestopfte Wildschweine in Originalgröße bereit.
Die Tiere seien alle auf natürliche Weise ums Leben gekommen, versichert Michael Weiß. Er kooperiert mit Naturschutzverbänden und Zoos. Das zu betonen ist dem Tierpräparator wichtig. Auch Privatpersonen lassen sich bei ihm ihre gestorbenen Siamkatzen zu Gefährten für die Ewigkeit umfunktionieren. Das erfordert gründliches Handwerk. Weiß arbeitet das tote Material nach Abziehen, Gerben und Nähen auf ein fertiges Modell aus Knochen, Draht und Modelliermasse auf. Die neuen Augen stammen aus einer thüringischen Fabrik, die sich auf Tierglasaugen spezialisiert hat. Insgesamt eine aufwendige Prozedur, doch dafür sind die weißschen Produkte Qualitätsware. Selbst menschenscheue Lebewesen wie die Bisamratte werden plötzlich zu pflegeleichtem Mobilar, das allen Altersgruppen Freude schenkt.
Als ich gerade im Laden stehe, trägt eine Frau einen Spatz herein, der ihr gegen die heimische Balkontür geflogen ist. Der Präparator wird den kleinen, steifen Vogel haltbar machen und dann einer Schule für den Biologieunterricht zur Verfügung stellen.
KIRSTEN KÜPPERS
Tierpräparator Michael Weiß, Markelstraße 48, 12163 Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen