: Die Flüsse gehen den Bach runter
Binnenschifffahrt boomte 2000 wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. Der Anteil am Gesamtverkehrsaufkommen wuchs dagegen nicht. Umweltschützer kritisieren teuren und sinnlosen Ausbau der Flüsse mit verheerenden ökologischen Folgen
von BERNHARD PÖTTER
Die Binnenschifffahrt in Deutschland hat ein Rekordjahr hinter sich. 2000 stiegen Güterbeförderung und Transportleistung auf dem Wasser gegenüber dem Vorjahr um knapp 6 Prozent auf 242 Millionen Tonnen und erreichten damit ein „Höchstniveau“. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Bericht des Statistischen Bundesamtes hervor, der der taz vorliegt. Auch die Gütertransportleistung nahm demnach um 6 Prozent auf 66,5 Milliarden Tonnenkilometer zu. Den Boom beim Binnenschiff sieht der Umweltverband BUND allerdings kritisch: Die Umweltschützer fürchten den massiven Ausbau der Flüsse zu Kanälen.
Die Transportleistungen sind die höchsten Werte seit der deutschen Einheit, schreibt das Statistische Bundesamt. „Das Ergebnis übertrifft auch sämtliche seit den 80er-Jahren registrierten Werte“, heißt es in dem Bericht. Grund für die „ungetrübte Binnenschifffahrtskonjunktur“ sei das kräftige Wirtschaftswachstum und das gute Wetter: Kein Eis auf den Flüssen, im Frühjahr kein Hochwasser und im Sommer keine Wasserknappheit. Die Schiffe transportierten vor allem Getreide, Fertigwaren, Chemiekalien, Öl und Kohle.
Der Binnenschiffboom hat allerdings auch Schattenseiten. So wächst der Verkehr mit dem Ausland, nicht aber innerhalb Deutschlands. Die deutschen Schiffer profitierten kaum vom Boom, verloren sogar Anteile. Und im Vergleich zur Bahn konnte das Schiff nicht zulegen. Beide Verkehrsträger zusammen machen mit jeweils nur zwischen 14 und 18 Prozent des Aufkommens nur ein Drittel des Güterverkehrs auf. 2 von 3 Tonnen Fracht werden auf dem Lkw bewegt.
Auch von Umweltschützern kommt Kritik am Binnenschiff. „Die bisher praktizierte Politik beim Ausbau der Wasserstraßen muss als naturzerstörend bezeichnet werden“, bilanziert ein Positionspapier des BUND. Trotz hohen Ausbaustandards und „dramatischen ökologischen Beeinträchtigungen“ habe „die erwartete Verlagerung des Güterverkehrs auf das Binnenschiff praktisch nicht stattgefunden“, kritisiert der BUND.
Die Umweltschützer fürchten, dass beim Ausbau der Wasserstraßen der Schutz der Umwelt den Bach runtergeht. „Auch die letzten Feuchtgebiete an Donau, Elbe, Havel, Saale, Weser und Oder sind vom Ausbau bedroht“, schreiben die BUND-Verkehrsexperten. Da die Schifffahrt an Anteilen am Gesamtverkehr verliert, sei es „umso widersinniger, Milliardensummen in einen naturzerstörerischen Wasserstraßenausbau zu investieren“, obwohl die Kapazitäten heute nicht ausgenutzt würden. So werde die Strecke Berlin–Magdeburg nur zu 30 Prozent ausgelastet.
Das Bundesverkehrsministerium folgt einer anderen Logik. „Wenn man nicht ausbaut, gibt es auch keinen Zuwachs beim Verkehr“, sagt Hartmut Dehn, zuständig für die Binnenschifffahrt. „Alle Ausbauten haben bisher die Erwartungen an das Verkehrsaufkommen erfüllt“, sagt er. Auch seien die oft kritisierten Prognosen bei den Binnenschiffern bisher relativ treffsicher gewesen. Insgesamt plant der Bund in den nächsten jahren Investitionen von etwa 5 Milliarden Mark in den Ausbau der Flüsse und Kanäle: 4 Milliarden kommen aus dem Investitionsprogramm 1999–2002, zusätzliche 900 Millionen Mark aus dem „Anti-Stau-Programm“, das aus der Lkw-Maut ab 2003 bezahlt werden soll. Unter ihnen sind auch 250 Millionen für den umstrittenen Ausbau der Havel in und um Berlin. Weitere 120 Millionen sollen in den Ausbau der Häfen fließen. Hier fürchtet Ernst Paul Dörfler vom BUND-Elbeprojekt, dass Fakten geschaffen würden: Erst die Häfen ausbauen, dann die Flüsse.
Arbeitsplätze im größeren Rahmen bringen diese Investitionen nicht. Die Zahl der deutschen Binnenschiffer ist seit 1964 von 30.000 auf nun 7.600 gesunken. Dazu schippern auf den deutschen Wassern noch einmal so viele Kapitäne vor allem aus den Niederlanden und Polen. Jeden Schiffer steht ein Beamter gegenüber, der die Wasserstraßen verwaltet: Insgesamt bieten die Wasserschifffahrtsämter 15.000 Menschen eine Arbeit.
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